Zu viel Motivation beeinträchtigt unsere Entscheidungsfindung

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(© Image: Unsplash)
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Forscher der Universität Genf und der EPFL enthüllen, wie die Motivation die neuronalen Schaltkreise der Wahrnehmung beeinflusst und sich auf die Entscheidungsfindung auswirkt.

Gute oder schlechte Laune, Konzentration oder Ablenkung, ein dringendes Bedürfnis oder nicht: Unsere inneren Zustände haben einen direkten Einfluss auf unsere Wahrnehmung und unsere Entscheidungsfindung. Die Rolle der Motivation bei der Bewältigung von Verhaltensaufgaben ist seit über einem Jahrhundert bekannt - dank der Arbeiten der Psychologen Robert Yerkes und John Dilligham Dodson -, doch ihre genaue Wirkung auf das Gehirn ist noch immer unklar. Ein Team der Universität Genf (UNIGE) hat in Zusammenarbeit mit der ETH Lausanne (EPFL) bei Mäusen beobachtet, wie sich dies auf die neuronalen Schaltkreise auswirkt, die für die Sinneswahrnehmung vor der Entscheidungsfindung verantwortlich sind. Die Studie zeigt, warum ein zu hohes oder zu niedriges Maß an Motivation unsere Gefühle und damit unsere Entscheidungen beeinträchtigen kann. Diese Ergebnisse, die in der Zeitschrift Neuron zu lesen sind, eröffnen insbesondere neue Perspektiven für Lernmethoden.

Früh am Morgen zur Arbeit fahren, in der Mittagspause ein Restaurant aussuchen: Viele unserer Entscheidungen werden durch Bedürfnisse motiviert, wie z. B. den Lebensunterhalt zu verdienen oder den Hunger zu stillen. Die Entscheidungsfindung ist jedoch ein komplexer Mechanismus, der auch von äußeren Faktoren wie der Umwelt oder anderen Personen sowie von unseren inneren Zuständen wie unserer Stimmung, unserem Aufmerksamkeitsgrad oder unserer Motivation beeinflusst werden kann.

Das Labor von Sami El-Boustani, Assistenzprofessor am Departement für Grundlagenneurowissenschaften der Medizinischen Fakultät der Universität Genf und Eccellenza-Stipendiat (SNF), untersucht die neuronalen Schaltkreise, die genau an diesem Mechanismus beteiligt sind. In jüngsten Arbeiten, die in Zusammenarbeit mit Carl Petersens Team an der EPFL durchgeführt wurden, untersuchte sein Team die Rolle, die ein bestimmter innerer Zustand - die Motivation - bei der Wahrnehmung und Entscheidungsfindung spielt. Zwar ist dank der Arbeiten der amerikanischen Psychologen Robert Yerkes und John Dilligham Dodson seit über einem Jahrhundert bekannt, dass es einen Zusammenhang zwischen Motivation und Leistung gibt - eine zu hohe oder zu niedrige Motivation beeinträchtigt die Leistung -, doch wie sich diese auf unsere neuronalen Schaltkreise auswirkt, ist nach wie vor unklar. "Wir wollten beobachten, wie die sensorischen Informationen, die von den Neuronen in der Hirnrinde übermittelt werden, durch den Grad der Motivation verändert werden und inwieweit sich die Motivation auf das Lernen und die Leistung bei einer Entscheidungsaufgabe auswirken kann", erklärt Sami El-Boustani, einer der Hauptautoren der Studie.

Zu diesem Zweck entwickelte das Forschungsteam ein Gerät, an dem Mäuse in einem kontrollierten Wassertrinkregime beteiligt waren. Zunächst trainierten sie die Nagetiere darauf, über zwei Vibrissen (A und B) auf taktile Reize zu reagieren und eine Aktion - das Lecken eines Röhrchens - nur für Vibrisse A zu erzeugen, um einen Wassertropfen zu erhalten. Nach diesem Lernprozess reagierten die Mäuse hauptsächlich auf die Stimulation von Vibrisse A, was auf ihre Fähigkeit hinweist, zwischen diesen beiden Empfindungen zu unterscheiden. Schließlich führten die Forscher die Experimente bei unterschiedlichem Durstniveau durch, um die Motivation der Nager zur Teilnahme an der Aufgabe zu variieren.

Hypermotivation verwischt die sensorischen Informationen

Im Zustand großen Durstes - und damit hoher Motivation - zeigten die Nagetiere schlechte Leistungen. Sie leckten undifferenziert an der Tube, ohne zu unterscheiden, welche Vibrissen stimuliert wurden. Bei mäßigem Durst hingegen war die Qualität ihrer Aktion optimal. Sie leckten hauptsächlich an der Tube, wenn die Stimulation über Vibrisse A erfolgte. Bei geringem Durst schließlich sank die Qualität der Leistung wieder.

Die Forscher beobachteten die Aktivität der neuronalen Netzwerke, die für die Entscheidungsfindung zuständig sind, und fanden heraus, dass die Neuronen in diesen Schaltkreisen mit elektrischen Signalen überflutet wurden, wenn die Nager übermotiviert waren. Im Gegensatz dazu waren die Signale im Zustand der Untermotivation schwach. "Bei Übermotivation werden die Neuronen stark stimuliert, was zu einem Verlust der Genauigkeit bei der Wahrnehmung taktiler Reize führt", sagt Giulio Matteucci, Postdoktorand im Labor von Sami El-Boustani und Erstautor der Studie.

Im Zustand geringer Motivation hingegen blieb die Genauigkeit der sensorischen Information erhalten, aber der Signalpegel war zu niedrig, um sie richtig zu übertragen. Dies führte folglich auch zu einer veränderten Wahrnehmung von Reizen.

Ein neues Verständnis von Lernen

Diese Ergebnisse eröffnen neue Perspektiven. Zunächst einmal bieten sie eine echte neuronale Grundlage für das Gesetz von Yerkes-Dodson. "Unsere Ergebnisse zeigen auch, dass der Grad der Motivation nicht nur die Entscheidungsfindung beeinflusst, sondern auch die Wahrnehmung von sensorischen Informationen, die der Entscheidungsfindung vorausgehen", erklärt Carl Petersen, ordentlicher Professor am Brain Mind Institute der EPFL.

Diese Arbeit deutet auch darauf hin, dass es notwendig ist, Erwerb und Ausdruck von neuem Wissen zu entkoppeln. "Wir haben nämlich beobachtet, dass die Mäuse den Versuchsaufbau sehr schnell verstanden hatten, dieses Lernen aber erst viel später ausdrücken - oder falsch ausdrücken - konnten, und zwar aufgrund einer veränderten Wahrnehmung, die mit ihrem Motivationsniveau zusammenhing." Diese Entschlüsselung der Rolle der Motivation eröffnet den Weg zu neuen adaptiven Lernmethoden, die darauf abzielen, ein optimales Motivationsniveau aufrechtzuerhalten.

Referenzen

10.1016/j.neuron.2022.09.032

https://www.cell.com/­neuron/fulltext/­S0896-6273(22)00898-4