Seit mehr als hundert Jahren wird Röntgenbeugung eingesetzt, um die Struktur von Kristallen oder Proteinen zu verstehen - die bekannte Doppelhelix-Struktur der Erbinformations-DNA beispielsweise wurde 1952 so entdeckt. Bei dieser Technik beschiesst man das zu untersuchende Objekt mit kurzwelligen Röntgenstrahlen. Die gebeugten Strahlen Überlagern sich dann und erzeugen so charakteristische Beugungsmuster, aus denen man Informationen über die Form des Objekts gewinnen kann.
Seit einigen Jahren können auf diese Weise auch einzelne Nanoteilchen mit sehr kurzen und höchst intensiven Röntgenpulsen untersucht werden. Dabei erhält man in der Regel allerdings nur ein zweidimensionales Bild des Teilchens. Forschende unter der Leitung von ETH-Professorin Daniela Rupp haben nun gemeinsam mit Kolleg:innen der Universitäten Rostock und Freiburg, der TU Berlin und dem DESY in Hamburg einen Weg gefunden, aus einem einzelnen Beugungsmuster auch die dreidimensionale Struktur eines Nanoteilchens zu errechnen, so dass man es sich von allen Seiten «ansehen» kann. In Zukunft sollte es sogar möglich sein, auf diese Weise 3D-Filme der Dynamik von Nanostrukturen zu machen. Die Ergebnisse des Forscherteams wurden kürzlich im Wissenschaftsjournal Science Advances veröffentlicht.
Seit 2019 ist Daniela Rupp Assistenzprofessorin an der ETH Zürich, wo sie die Arbeitsgruppe «Nanostrukturen und ultraschnelle Röntgenwissenschaften» leitet. Mit ihrem Team versucht sie, die Wechselwirkung von sehr intensiven Röntgenpulsen und Materie besser zu verstehen. Als Modellsystem verwendet sie dabei Nanopartikel, die sie unter anderem am Paul Scherrer Institut untersucht. «Für die Zukunft tun sich hervorragende Möglichkeiten am neuen Maloja-Instrument auf, an dem wir externe Seite Anfang letztes Jahr als erste Nutzergruppe messen durften. Im Moment nimmt das Team vor Ort den Attosekunden-Modus in Betrieb, mit dem wir sogar die Dynamiken von Elektronen beobachten können», sagt Rupp.
Ein tieferer Blick auf dynamischer Prozesse
Die jetzt veröffentlichte Arbeit ist ein wichtiger Schritt in diese Zukunft, erklärt Postdoktorand Alessandro Colombo: «Damit öffnen wir ein Fenster zu Untersuchungen dynamischer Prozesse von kleinsten Partikeln im Femtosekunden-Bereich.» Das Problem der Röntgenbeugung mit sehr intensiven Pulsen ist, dass die zu untersuchenden Objekte nach dem Beschuss sofort verdampfen - «abbilden und zerstören» im Jargon der Forschenden. Da so nur ein einziger Schnappschuss des Nanoteilchens gemacht werden kann, möchte man aus diesem natürlich möglichst viele Information herausholen. Will man mehr als nur ein 2D-Bild aus dem Beugungsmuster errechnen, musste man den Computeralgorithmen bisher stark limitierende Annahmen zur Form des Nanoteilchens vorgeben, etwa zu seiner Symmetrie. Dadurch bleiben jedoch Feinheiten des Teilchens, die von diesen Annahmen abweichen, verborgen. Zudem musste man bei diesen Algorithmen viele Einstellungen von Hand eingeben und anpassen.Verbesserter Algorithmus
«Hier setzt unsere neue Methode an», sagt Rupp: «Mit unserem neuen Algorithmus, der eine sehr effiziente Simulationsmethode und eine geschickte Optimierungsstrategie nutzt, können wir automatisch 3D-Bilder des Nanoteilchens erstellen, ohne dass wir spezielle Vorgaben machen müssen. Auf diese Weise können wir sogar kleine Unregelmässigkeiten sehen, die zum Beispiel beim Wachstumsprozess des Partikels entstanden sind.» Um die 3D-Auflösung zu erreichen, verwenden die Forschenden nicht nur wie bisher üblich denjenigen Teil des Beugungsmusters, der in einem kleinen Winkel von wenigen Grad vom Objekt gebeugt wird, sondern auch den «Weitwinkel»-Anteil von 30 Grad und mehr. Dadurch erhöht sich die Menge der aus den Daten zu errechnenden Informationen zwar enorm, doch der verbesserte Algorithmus wird auch damit fertig.Auf diese Weise kann das Team um Rupp nun aus den Beugungsmustern einzelner 70 Nanometer grosser Silber-Nanoteilchen, die mit rund 100 Femtosekunden dauernden RÅntgenpulsen beschossen werden, 3D-Bilder errechnen, welche die Teilchen von verschiedenen Seiten zeigen.