KI revolutioniert die Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen

- EN- DE - FR- IT
Forscherinnen und Forscher der EPFL haben eine KI-gestützte, markierungsfreie Methode zur Untersuchung von Proteinaggregaten entwickelt. Diese Technologie eröffnet neue Perspektiven für die Erforschung von neurodegenerativen Krankheiten.

Neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson und Huntington sind ein wachsendes Gesundheitsproblem und betreffen Millionen von Menschen auf der ganzen Welt. Sie sind durch einen fortschreitenden Rückgang der neuronalen Funktion gekennzeichnet und äußern sich durch eine Reihe von schwächenden Symptomen. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung nimmt die Inzidenz neurodegenerativer Erkrankungen mit der Alterung der Weltbevölkerung zu.

Bei vielen neurodegenerativen Erkrankungen kommt es zur Ansammlung von Aggregaten falsch gefalteter Proteine. Diese spielen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und dem Fortschreiten von Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson und Huntington. Fortschritte beim Verständnis und bei der Behandlung dieser Krankheiten werden jedoch durch die derzeitigen Methoden zur Markierung fehlgefalteter Proteine verlangsamt, bei denen fluoreszierende Marker verwendet werden.

Diese Ansätze sind bis zu einem gewissen Grad wirksam und verändern die biophysikalischen Eigenschaften der Proteine, was sich wiederum auf die Art und Weise auswirkt, wie sie mit anderen Proteinen und Zellkomponenten interagieren. Daher ist es sehr schwierig, die Komplexität und die ultrastrukturelle Organisation der Proteinaggregate, die für Krankheiten im Gehirn verantwortlich sind, genau zu untersuchen.

Die LINA-Technik

Forscherinnen und Forscher der EPFL haben eine neue Technik entwickelt, mit der sie dieses Problem umgehen können. Mithilfe von Deep Learning identifizieren sie die Aggregate, ohne sie zu verändern. Damit bieten sie einen nicht-invasiven und hochpräzisen Ansatz, um einen wichtigen Prozess in der Pathogenese neurodegenerativer Erkrankungen zu verstehen.

Diese neue Technik namens LINA (Label-free Identification of Neurodegenerative-disease-associated aggregates) wurde von den Teams von Hilal Lashuel und Aleksandra Radenovic von der Fakultät für Biowissenschaften bzw. der Fakultät für Ingenieurwissenschaften und -techniken der EPFL an der Seite von Kristin Grußmayer von der TU Delft entwickelt. Ihre Arbeit wurde in der Zeitschrift Nature Communications veröffentlicht.

Die LINA-Technik nutzt Deep Learning zur Analyse von Durchlichtbildern lebender Zellen und ermöglicht die Identifizierung von Proteinaggregaten ohne Fluoreszenzmarkierung. Sie bewahrt den natürlichen Zustand der Proteine und liefert Daten mit hoher Wiedergabetreue, die für eine präzise Forschung unerlässlich sind.

LINA-Technik an der Huntington-Krankheit getestet

Die Wissenschaftler testeten die LINA-Technik an der Huntington-Krankheit, einer neurodegenerativen Erkrankung, die durch die Fehlfaltung des Proteins Huntingtin verursacht wird. Sie verwendeten ein gut kontrolliertes biologisches Modell auf der Grundlage von HEK-293-Zellen, die das mutierte Huntingtin überexprimieren.

Mithilfe eines eigens angefertigten multimodalen und multiplanaren Mikroskops erfasste das Team ultraschnelle 4D-Bilder im Hellfeld und in der Fluoreszenz, die aus dem Quantitative Phase Imaging (QPI) umgewandelt wurden. Diese Bildgebungstechnik erfasst die von einer Probe verursachten Veränderungen der Lichtphase, um ihre physikalischen und optischen Eigenschaften, z. B. ihre Dicke und ihren Brechungsindex, im Detail zu "sehen", ohne dass die Probe gefärbt oder markiert werden muss.

Die Forscherinnen und Forscher verwendeten die QPI-Bilder dann als Grundlage, um ein faltendes neuronales Netz zu trainieren. Letzteres ist eine KI, die speziell für die Verarbeitung und Analyse von visuellen Daten wie Bildern und Videos entwickelt wurde.

Die LINA-Technik zeigte eine bemerkenswerte Genauigkeit bei der Identifizierung von Aggregaten, die von einem Fragment des Huntingtin-Proteins, Httex1 genannt, gebildet werden. Dieses Fragment enthält die Stelle der Mutationen, die für die Huntington-Krankheit verantwortlich sind.

Hilal Lashuel erklärt: "Frühere Studien unseres Teams haben gezeigt, dass Httex1 und andere Proteine, die mit neurodegenerativen Erkrankungen in Verbindung stehen, wenn sie an fluoreszierende Proteine gebunden werden, Aggregate bilden, die sich stark von denen unterscheiden, die für das native Protein in den Neuronen beobachtet werden. Das bedeutet, dass wir nicht in der Lage sind, den Prozess dieser Krankheiten zu reproduzieren und zu verfolgen".

Die LINA-Technik hat erfolgreich Httex1-Aggregate in markierten und unmarkierten Proteinen identifiziert, was ihre Vielseitigkeit und Konsistenz unter verschiedenen Bildgebungsbedingungen und Zelllinien belegt.

Die LINA-Technik in der Bildgebung lebender Zellen

Die Forscherinnen und Forscher nutzten die KI, um den dynamischen Prozess der Proteinaggregation durch die Bildgebung lebender Zellen zu verfolgen, was zu einem besseren Verständnis der Wachstumsdynamik von Httex1-Aggregaten führte. Dies ist für das Verständnis der Progression neurodegenerativer Erkrankungen von entscheidender Bedeutung und könnte zur Identifizierung neuer therapeutischer Ziele führen.

Die LINA-Technik hat sich jedoch nicht nur bei der Identifizierung von Proteinaggregaten als effektiv erwiesen, sondern auch bei detaillierten Vergleichen zwischen verschiedenen Aggregattypen. Die Kenntnis dieser feinen Unterschiede und Ähnlichkeiten ist unerlässlich, da sie Aufschluss über die Entstehung und das Verhalten dieser Proteinaggregate gibt, was für das Verständnis der Progression neurodegenerativer Erkrankungen von entscheidender Bedeutung ist.

Ein einfaches, automatisiertes und hochleistungsfähiges Werkzeug

"In ihrer einfachsten Form präsentieren unsere Modelle eine einfache und schnelle Methode, um Proteinaggregate anhand von Durchlichtbildern zu finden und automatisch zu segmentieren. Diese können quantitative Phasenbilder oder möglichst einfache Hellfeldbilder sein", sagt Khalid Ibrahim, Hauptautor der Studie. "Laboranwenderinnen und -anwendern auf der ganzen Welt steht damit eine einfache, automatisierte und hochleistungsfähige Technik zum Nachweis und zur Analyse von Proteinaggregaten zur Verfügung."

"Derzeit versuchen wir, die Anwendung dieser Methode auf die Untersuchung der Aggregation anderer Proteine auszuweiten, die mit der Alzheimer- und Parkinson-Krankheit in Verbindung stehen, indem wir neue und validierte Zellmodelle dieser Krankheiten verwenden", sagt Hilal Lashuel. "Unser Endziel ist es, die frühen Ereignisse dieses Prozesses erfassen zu können, die als Haupttreiber der Neurodegeneration gelten, aber für die meisten bestehenden Methoden unzugänglich bleiben. Dies würde den Weg für die Suche nach neuen Medikamenten ebnen, die die Aggregation und Toxizität von Proteinen hemmen."

Aleksandra Radenovic fügt hinzu: "Die Entwicklung neuer Methoden, mit denen wir nicht nur die Proteinaggregation und die Entstehung von Krankheiten verfolgen, sondern auch quantitative Messungen der Proteineigenschaften vornehmen können, könnte uns helfen, neue Mechanismen zu identifizieren und besser zu verstehen, was derzeit durch die Verwendung großer fluoreszierender Proteinmarker verdeckt wird."

Khalid Ibrahim ist Doktorand. Er arbeitet unter der Aufsicht von Hilal Lashuel und Aleksandra Radenovic im Rahmen des iPhD-Programms der Fakultät für Biowissenschaften an der EPFL.

Referenzen

Khalid A. Ibrahim, Kristin S. Grußmayer, Nathan Riguet, Lely Feletti, Hilal A. Lashuel, Aleksandra Radenovic. Label-free identification of protein aggregates using deep learning. Nature Communications 28 November 2023. DOI: 10.1038/s41467’023 -43440-7.