Was genau versteht man unter "Blendung"? Einfach ausgedrückt handelt es sich um ein unangenehmes Gefühl beim Sehen, das häufig zu Unbehagen, Müdigkeit und sogar Kopfschmerzen führt. Die Wahrnehmung ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich und bestimmte Lichtverhältnisse können für den einen angenehm, für den anderen unangenehm sein. Was sind die Gründe dafür? Gibt es eine physiologische Erklärung für diese Unterschiede, die vor allem auf individuelle Unterschiede im Auge zurückzuführen sind? Es geht darum, die Blendungsrisiken in Innenräumen zu bewerten und komfortable, nachhaltige und gesunde Umgebungen zu fördern.
"Das Gefühl der Blendung ist der erste Grund, warum die Leute die Jalousien hochziehen und sich das Tageslicht entziehen", erklärt Jan Wienold, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Laboratoire de Performance Intégrée au Design (LIPID) an der EPFL. Natürliches Licht auszuschalten, sei es durch das Fehlen von Fenstern oder durch übermäßige Beschattung, bedeutet nicht nur, dass man es mit einer Stromquelle kompensieren muss, sondern auch, dass man unsere visuelle Verbindung zur Außenwelt, die für uns so wichtig ist, unterbricht."
Es ist das Licht, das die Rhythmen unseres Körpers über einen Photorezeptor im Auge, der empfindlicher auf den blauen Teil des Spektrums reagiert, anpasst.
Marilyne Andersen, die das LIPID leitet und vor kurzem eine Kunstausstellung über chronobiologische Forschung mit kuratiert hat, erklärt: "Lichtmangel ist eine moderne Krankheit. Wir haben uns im Freien entwickelt, aber heute verbringen wir 90% unserer Zeit in geschlossenen Räumen, wo die Helligkeit etwa hundertmal geringer ist. Wir leiden unter chronischem Lichtmangel und sind gleichzeitig abends zu viel Licht ausgesetzt - ein Phänomen, das als sozialer Jetlag bekannt ist. Wir geben unserem Körper falsche Signale über Tag und Nacht, was zu einer Verschiebung unserer biologischen Uhr führt und die Qualität unseres Schlafs, aber auch unser Immunsystem, unseren Müdigkeitsgrad oder unsere Stimmung beeinträchtigt. In den Abendstunden wird das Problem durch die zunehmende Exposition gegenüber Bildschirmen mit ihrem blauen Licht noch verschärft".
Im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen der EPFL und dem Hôpital Opthalmique Julies-Gonin in Lausanne setzten die Wissenschaftler 110 Teilnehmer in einem büroähnlichen Raum gefiltertem Tageslicht aus. Außerdem führten sie umfangreiche physiologische Messungen am Auge durch. Sneha Jain, die Erstautorin des Artikels, deren Doktorarbeit von Marilyne Andersen und Jan Wienold mitbetreut wurde, fand heraus, dass eine höhere Dichte an Makulapigmenten im Auge - ein gelbes Nahrungspigment im zentralen Teil der Netzhaut, das dafür bekannt ist, blaues Licht zu absorbieren - das Gefühl der Blendung durch blaues, gefiltertes Tageslicht tatsächlich reduziert. Sie enthüllte auch etwas Unerwartetes in Bezug auf die Empfindlichkeit gegenüber farbneutralem Tageslicht. Die Ergebnisse wurden in Scientific Reports veröffentlicht.
"Da wir eine physiologische Erklärung hatten, erwarteten wir, dass Personen mit einer höheren Makulapigmentdichte besser vor Blendung geschützt sind. Wir erwarteten aber auch, dass die Pigmentdichte einen Effekt auf farbneutrales Tageslicht hat, das Blau in seinem Spektrum enthält. Das haben wir aber nicht gefunden", erklärt Andersen. Zur Überraschung der Wissenschaftler bedeutet dies, dass die Makulapigmentierung die immer wieder beobachteten individuellen Unterschiede im Blendempfinden nicht erklären kann: Die Pigmentdichte hat unter neutralen Tageslichtbedingungen keinen signifikanten Einfluss.
Dies ist die erste Studie, die sich mit dem Einfluss der Makulapigmentierung auf die Blendung unter natürlichen Lichtbedingungen befasst", erklärt Sneha Jain. In früheren Arbeiten hatten Wissenschaftler die Untersuchung aus medizinischer Sicht durchgeführt und dabei künstliche Lichtquellen verwendet, die nicht repräsentativ für normale Lichtverhältnisse waren. Wir haben versucht, eine realistische Umgebung nachzubilden - ein Büro mit einem Fenster, in dem das Licht von überall her kommt. Die Untersuchung der Blendempfindlichkeit ist in einem solchen Kontext relevanter, um reale Situationen darzustellen".
Während des Experiments wurden die Teilnehmer gefiltertem Tageslicht durch entweder blau oder neutralgrau getönte Glasscheiben ausgesetzt, die jeweils unterschiedliche Transmissionsgrade aufwiesen und bei denen die Sonnenscheibe voll sichtbar war. Diese Bewertung der Erfahrung der Teilnehmer in Bezug auf die empfundene Blendung wurde durch die Messung einiger spezifischer Augenparameter ergänzt, die in der Augenklinik durchgeführt wurden.
Diese Arbeit ist Teil eines größeren Projekts des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, das von Jan Wienold geleitet wird und verschiedene Aspekte des Sehkomforts mit einem interdisziplinären Ansatz untersuchen soll, um die beobachteten Unterschiede in der individuellen Blendungserfahrung zu erforschen. Jan Wienold, der auch eine robuste Metrik zur Beurteilung von Blendung entwickelt hat, die Daylight Glare Probability (DGP), die mittlerweile von drei europäischen Standards übernommen wurde, meint zu dieser Studie: "Die Ergebnisse helfen den Wissenschaftlern am LIPID, die Qualität ihrer Metriken zur Vorhersage von Blendungsrisiken in Büroumgebungen weiter zu verbessern. In den meisten Fällen kann man sie zuverlässig vorhersagen, aber unter bestimmten Bedingungen ist dies mit einer großen Unsicherheit verbunden, z. B. bei gleichzeitigem Vorhandensein von Tageslicht und elektrischem Licht oder bei farbigem Licht. Dies sind Forschungsrichtungen, die wir bald erforschen wollen".