Unser Darm beherbergt eine vielfältige Gemeinschaft von Bakterien, die die sogenannte Mikrobiota bilden. Diese Bakterien spielen eine entscheidende Rolle für unsere Gesundheit, indem sie bei der Verdauung helfen, wichtige Nährstoffe produzieren, das Immunsystem im Gleichgewicht halten und sogar unsere Stimmung und unser Verhalten beeinflussen.
Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir die Faktoren verstehen, die die Zusammensetzung der Mikrobiota bedingen, da Störungen dieses empfindlichen Gleichgewichts mit verschiedenen Gesundheitsproblemen in Verbindung gebracht werden, darunter entzündliche Darmerkrankungen, Fettleibigkeit und Stoffwechselstörungen.
In einer neuen Studie liefert ein Team von Wissenschaftlern unter der Leitung von Alex Persat an der Fakultät für Biowissenschaften der EPFL neue Erkenntnisse darüber, wie die physikalischen Kräfte, die durch die Strömung der Flüssigkeiten in unserem Darm erzeugt werden, auf die Bakteriengemeinschaften einwirken. Die Arbeit ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit dem Labor von Tom Battin an der Fakultät für natürliche, architektonische und gebaute Umwelt der EPFL und Kollegen der ETH Zürich. Sie ermöglicht ein besseres Verständnis der komplexen Mechanismen, durch die die verschiedenen Bakterienarten miteinander interagieren, indem sie Nährstoffe untereinander aufteilen.
Um die Rolle der Flüssigkeitsströmung bei der Interaktion zwischen den Bakterienarten zu ergründen, untersuchten die Forscher zwei häufige und repräsentative Darmbakterien, von denen bekannt ist, dass sie einen positiven Einfluss auf die Darmgesundheit haben: Bacteroides thetaiotaomicron und Bacteroides fragilis.
Das Team untersuchte, wie die beiden Arten Nährstoffe untereinander aufteilen, wenn sie Dextran, einem gängigen Lebensmittelzusatzstoff, ausgesetzt sind. Die Forscher kultivierten die Bakteriengemeinschaften in einer mikrofluidischen Vorrichtung unter anaeroben Bedingungen, die das Darmmilieu im Labor nachahmte. Unter diesen Bedingungen entwickelten sich die Bakteriengemeinschaften zu mehrzelligen Gemeinschaften, sogenannten Biofilmen, in denen die gemeinsame Nutzung von Nährstoffen das Verhältnis zwischen den verschiedenen Arten beeinflusst.
Die Forscher machten daraufhin die Populationen unter einem hochauflösenden Mikroskop sichtbar und konnten zum ersten Mal die physikalischen Prinzipien verstehen, die die Organisation von Mikrobiotikagemeinschaften steuern.
Die Studie ergab, dass der Flüssigkeitsstrom im Darm die Art und Weise beeinflusst, wie diese Bakterien interagieren und nützliche Nebenprodukte aus der Metabolisierung von Dextran austauschen, wobei sie Biofilme bilden, die an der inneren Oberfläche des Darms befestigt sind.
Darüber hinaus bedingt der Austausch dieser Gemeingüter auch die räumliche Verteilung der Gemeinschaft. "Flüssigkeitsströme der Art, denen diese Bakterienarten im menschlichen Dickdarm ausgesetzt sind, wirken sich über die Verteilung von Gemeingütern stark auf die räumliche Organisation und die Zusammensetzung syntropher Gemeinschaften aus", sagt Jeremy Wong, Erstautor der Studie.
Die Studie ergab darüber hinaus, dass auch die Stärke der Strömung einen Einfluss auf die Biofilmbildung der B. fragilis-Bakterien hat: War die Strömung zu stark, sank die Konzentration der nützlichen Nebenprodukte an der Oberfläche, wodurch das Wachstum der B. fragilis-Biofilme eingeschränkt wurde. Dies legt nahe, dass physikalische Faktoren die allgemeine Zusammensetzung und Stabilität von Darmbakteriengemeinschaften beeinflussen können.
Die durchgeführte Forschungsarbeit macht deutlich, wie wichtig es ist, nicht nur den chemischen Aspekt zu betrachten, sondern auch die physikalischen Kräfte, die auf die bakteriellen Gemeinschaften im Darm einwirken. Diese zusätzliche Perspektive könnte die Tür zu neuen Ansätzen öffnen, mit denen ein gesundes Darmmikrobiom gefördert und Krankheiten, die durch Fehlfunktionen der Bakteriengemeinschaften verursacht werden, verhindert oder sogar behandelt werden können.
Jeremy Wong ist ein Doktorand, der unter der Aufsicht von Alex Persat und Tom Battin im Rahmen des iPhD-Programms der Fakultät für Biowissenschaften der EPFL arbeitet.