Ein internationales Team unter der gemeinsamen Leitung der Universität Genf und des Universitätsspitals Genf (HUG) hat das einzige Protein entschlüsselt, mit dem man Neuroinflammation ’sehen’ kann. Diese Entdeckung wird das Verständnis der Mechanismen neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen optimieren.
Entzündungen sind ein Zeichen dafür, dass sich unser Körper gegen einen Angriff wehrt. Wenn diese Reaktion jedoch außer Kontrolle gerät, zum Beispiel im Gehirn, kann sie zu schweren neurologischen oder psychiatrischen Erkrankungen führen. Ein Team aus Forschern/innen der Universität Genf , des Universitätskrankenhauses Genf (HUG), des Imperial College London und der Amsterdamer UMC untersuchte ein Markerprotein, das gezielt mit bildgebenden Verfahren zur Visualisierung von Entzündungen im Gehirn eingesetzt wird, dessen Interpretation jedoch noch unklar war. Die Wissenschaftler enthüllen, dass sein Vorkommen in großen Mengen mit einer großen Anzahl von Entzündungszellen einhergeht, aber kein Zeichen für deren Überaktivierung ist. Diese Ergebnisse, die in Nature Communications zu finden sind , ebnen den Weg für eine optimale Beobachtung von neuroinflammatorischen Prozessen und eine Neubewertung früherer Studien zu diesem Thema.
Eine Entzündung ist eine natürliche Abwehrreaktion, die vom Immunsystem initiiert wird. Sie ermöglicht es unseren Zellen, sich gegen Angriffe wie Verletzungen oder Infektionen zu wehren. Diese Reaktion kann aber auch außer Kontrolle geraten und die Entstehung schwerer Krankheiten begünstigen. Wenn sie im Gehirn auftritt - man spricht dann von Neuroinflammation - kann diese Überaktivierung an den Mechanismen neurodegenerativer (Alzheimer, Charcot-Krankheit, Multiple Sklerose) und psychiatrischer Erkrankungen (Schizophrenie, bipolare Störung, Depression) beteiligt sein.
Im Gehirn gehören zu den Zellen, die für Entzündungen und deren potenziellen Ausbruch verantwortlich sind, auch die Mikrogliazellen, die die Mikroglia bilden. Sie können bei Funktionsstörungen "aktiv" werden, pathologische Zellen oder Proteine phagozytieren und sogar schützende Substanzen produzieren. Derzeit gibt es in der medizinischen Bildgebung nur einen Marker, mit dem Mikroglia nicht-invasiv und in vivo lokalisiert und gemessen werden können. Es handelt sich dabei um das TSPO-Protein, das in diesen Zellen vorkommt. Dieses Protein wird mit Hilfe der Positronen-Emissions-Tomographie (PET), einem gängigen bildgebenden Verfahren, beobachtet.
Was zeigt das TSPO-Protein?
Hunderte von Studien haben sich auf die Beobachtung dieses Proteins mittels PET gestützt, um die Mikroglia zu erforschen und zu quantifizieren. Keine Studie konnte jedoch die Bedeutung der Menge an TSPO im Zusammenhang mit einer Entzündungsreaktion genau interpretieren", erklärt Stergios Tsartsalis, wissenschaftlicher Oberarzt an der Abteilung für Psychiatrie der Medizinischen Fakultät der Universität Genf. Ist eine große Menge an TSPO gleichbedeutend mit einer großen Menge an Entzündungszellen? Ist sie ein Zeichen für deren Überaktivierung? Gemeinsam mit Forschern des Imperial College London (Dr. David Owen) und der Amsterdamer UMC (Prof. Sandra Amor) versuchten Stergios Tsartsalis und die Teammitglieder von Philippe Millet vom Laboratoire d’imagerie translationnelle en neurosciences psychiatriques des HUG und der Groupe de neuroimagerie moléculaire en psychiatrie der Universität Genf, dies herauszufinden.
Das Forschungsteam arbeitete mit Gehirnen von Mausmodellen, die an Alzheimer, Charcot oder Multipler Sklerose litten, sowie mit postmortalen Hirnproben von Patienten, die an denselben Krankheiten litten. Wir haben herausgefunden, dass eine hohe Dichte an TSPO-Proteinen ein Indikator für eine hohe Mikroglia-Dichte ist. Die Beobachtung von TSPO sagt jedoch nichts darüber aus, ob die Entzündungszellen überaktiviert sind oder nicht’, erklärt der Forscher von der Universität Genf und Co-Erstautor der Studie.
Die Vergangenheit neu lesen, die Zukunft optimieren
Diese Entdeckung verdeutlicht den Wert der medizinischen Bildgebung von TSPO: Sie ermöglicht es, Fälle zu identifizieren, in denen die neuroinflammatorische Erkrankung mit einer Dysregulation der Anzahl der Gliazellen in Zusammenhang steht. Darüber hinaus haben die Wissenschaftler zwei Marker für den Aktivierungszustand der Mikroglia beim Menschen identifiziert - die Proteine LCP2 und TFEC -, die den Weg für neue Ansätze in der medizinischen Bildgebung ebnen.
’Diese Ergebnisse sind ein weiterer Schritt zum Verständnis der Rolle von Mikroglia bei der Neuroinflammation. Sie werden es ermöglichen, zukünftige Studien optimal auszurichten, aber auch die Schlussfolgerungen früherer Forschungen zu überprüfen’, freut sich Stergios Tsartsalis. In Verbindung mit der bedeutenden Entwicklung der molekularen Bildgebung an der Universität Genf und am HUG legt diese vom Schweizerischen Nationalfonds und der Max-Cloëtta-Stiftung unterstützte Studie den Grundstein für eine leistungsfähige Beobachtung der Immunmechanismen bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen innerhalb der beiden Genfer Institutionen und darüber hinaus.
25 Sep. 2023