Haie und Rochen sind die am stärksten bedrohte Gruppe der marinen Wirbeltiere. Ihre Funktionen im Ökosystem haben Forschende unter der Leitung von UZH-Professorin Catalina Pimiento nun in einer internationalen Studie zu einem entscheidenden Kriterium für den Artenschutz gemacht. Die Autoren sehen dringenden Handlungsbedarf nicht nur bei den zu schützenden Arten, sondern auch für neue marine Schutzgebiete.
Biodiversität umfasst mehrere Dimensionen: Die Vielfalt der Arten (Taxonomie) und ihre Entwicklungsgeschichte (Phylogenetik) gehören ebenso dazu wie die Rolle der Arten in den jeweiligen Ökosystemen (Funktionalität). Um Biodiversität zu erhalten, müssen alle diese Aspekte berücksichtigt werden.
Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von UZH-Professorin Catalina Pimiento hat nun die Dimensionen der Biodiversität bei den Plattenkiemern (Elasmobranchii) entschlüsselt, der am stärksten bedrohten Gruppe mariner Wirbeltiere, zu der auch Haie und Rochen gehören. Die Forschenden stellten dafür funktionale Aspekte den bereits untersuchten taxonomischen und phylogenetischen Aspekten der Biodiversität gegenüber und konnten so eine neue Prioritäten-Hierarchie für Artenschutz und Schutzgebiete erarbeiten.
Bestimmte Arten sind für funktionale Vielfalt entscheidend
Um die globale funktionale Diversität der Plattenkiemer zu quantifizieren, nutzten die Forschenden einen neu zusammengestellten Datensatz von Merkmalen. Dabei entdeckten sie ein komplexes Geflecht unterschiedlicher ökologischer Rollen, welche die bedrohten Arten spielen. ’Wir konnten die am stärksten gefährdeten Arten identifizieren, die entscheidend für den Erhalt der funktionalen Diversität bei den Plattenkiemern sind, darunter der Langflossen-Makohai, der Ganges-Hai, der Dolchstichhai, der Kurzflossen-Makohai und der Bogenstirn-Hammerhai’, erklärt Catalina Pimiento.Räumliche Analysen zeigten zudem, dass sich der funktionale Reichtum der Plattenkiemer entlang der Kontinentalschelfe und um die Tiefseeinseln herum konzentriert. Die Forschenden entdeckten 18 einzigartige Zentren funktionaler Diversität. Diese Überschneiden sich jedoch nur geringfügig mit bisherigen Schutzgebieten, die anhand anderer Biodiversitätsfacetten identifiziert wurden. ’Viele der für die Biodiversität der Plattenkiemer entscheidenden Hotspots fallen mit Überfischten Gebieten entlang der chinesischen Küste zusammen, andere liegen um ozeanische Inseln und auf hoher See’, sagt John Griffin von der Universität Swansea, Mitautor der Studie.
Bisherige Artenschutzprogramme nutzten nur zwei Aspekte der Biodiversität für ihre Einschätzungen: die taxonomische und phylogenetische. So bewertet die Rote Liste der Weltnaturschutzunion (IUCN) die Dringlichkeit, mit der eine Art vom Aussterben bedroht ist, während das Programm EDGE of Existence diesen Ansatz um die phylogenetische Vielfalt erweitert und berücksichtigt, ob einzelne Arten eine lange und einzigartige Evolutionsgeschichte haben.
Dringender Handlungsbedarf im Artenschutz und bei marinen Schutzgebieten
In den bestehenden Meeresschutzgebieten, die ohne Einbezug der funktionalen Dimension bestimmt wurden, sind die Plattenkiemer laut den Autor:innen jedoch unzureichend geschützt und verschiedenen Bedrohungen ausgesetzt. ’Mehrere Regionen der Welt, darunter die Küsten Chinas und Europas, wo sich Hotspots der Plattenkiemer-Biodiversität befinden, sind durch die industrielle Fischerei extrem bedroht’, sagt Fabien Leprieur von der Universität Montpellier, Mitautor der Studie, und unterstreicht damit die Dringlichkeit weiterer Schutzmassnahmen.Die Studie betont die Notwendigkeit, die funktionale Biodiversität in die Schutzstrategien für Plattenkiemer und andere stark bedrohte Arten zu integrieren. Da Haie und Rochen seit Millionen von Jahren ein wichtiger Bestandteil der marinen Ökosysteme sind, ist die Erhaltung ihrer Artenvielfalt entscheidend für die Gesundheit der Ozeane.
Literatur:
Pimiento, C., Albouy, C., Silvestro, D. et al. Functional diversity of sharks and rays is highly vulnerable and supported by unique species and locations worldwide. Nature Communications. Doi.org/10.1038/s41467’023 -43212-3