Ein Bandpassfilter für die synthetische Biologie

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Ein Bandpassfilter für die synthetische Biologie
Wissenschaftler der EPFL haben ein biologisches System entwickelt, das die Funktionsweise eines Bandpassfilters nachahmt. Ein neuer Sensor, der die selbstregulierenden biologischen Mechanismen in der synthetischen Biologie auf den Kopf stellen könnte.

Die synthetische Biologie ermöglicht es, biologische Systeme zu verbessern und zu verändern, um daraus zahllose neue Technologien zum Nutzen der Gesellschaft zu entwickeln. Dieser technologische Ansatz der Biologie hat bereits zu Ergebnissen bei der Verabreichung von Medikamenten an Patientinnen und Patienten, in der Landwirtschaft und bei der Energiegewinnung geführt. Ein in Nature Chemical Biology veröffentlichter Artikel erläutert, wie das Labor für Proteindesign und Immunoengineering ( LPDI ) der EPFL bedeutende Fortschritte bei der Entwicklung leistungsfähigerer biologischer Systeme erzielt hat. Indem sie selbstreguliertes Verhalten in Zellen beobachteten und sich von der Elektrotechnik inspirieren ließen, entwarfen sie einen ausgeklügelten biologischen Schalter, der modifizierte Proteine als Verbindungen nutzt.

Wir nutzen verschiedene Ansätze des Proteindesigns, darunter auch computergestützte, um neue molekulare Materialien zu entwerfen.

Professor Bruno Correia, der Leiter des LPDI
Das LPDI versucht, biologische Funktionen zu entwickeln, die die Fähigkeiten, die die Natur über viele Millionen Jahre der Evolution entwickelt hat, replizieren oder sogar übertreffen. "Wir nutzen verschiedene Ansätze des Proteindesigns, einschließlich computergestützter Ansätze, um neue molekulare Materialien zu entwerfen", sagt Bruno Correia, der Leiter des LPDI und Hauptautor des Artikels. Dieses neue biologische Material, das die Form eines von Grund auf geformten Proteins annimmt, kann dann in lebende Zellen eingesetzt werden und auf Reize reagieren, die der Ingenieur genau kontrollieren kann.

Die Methodik im Labor besteht zunächst darin, die Funktionsweise von Zellen zu beobachten und diese Funktionen nachzuahmen oder für andere Zwecke anzupassen. Die Selbstregulation ist eine der Funktionen, die die Natur sehr gut beherrscht. Wenn eine Zelle beispielsweise mehr Ionen benötigt, aktiviert sie Mechanismen, die es den Ionen ermöglichen, in die Zelle einzudringen. Sobald der Bedarf der Zelle gedeckt ist und sie ein gewisses Gleichgewicht, die sogenannte Homöostase, erreicht hat, kann sie den Ionenfluss wieder abschalten.

Dieser biologische Mechanismus kann begrifflich mit der selektiven Natur eines Bandpassfilters in der Elektronik verglichen werden. Während ein Bandpassfilter Signale auf der Grundlage eines vordefinierten Frequenzbereichs unterscheidet und nur diejenigen durchlässt, deren Band der Spezifikation entspricht, lässt die Zelle selektiv Ionen je nach ihren aktuellen Bedürfnissen ein- oder austreten. Obwohl dieser Vergleich eine Vereinfachung darstellt, da der biologische Prozess eher von komplexen biochemischen Rückkopplungen als von binären Signalen gesteuert wird, wird eine ähnliche selektive Durchlässigkeit erreicht, wie ein Bandpassfilter bestimmte Frequenzen zulässt und andere zurückweist.

Eine der Einschränkungen der synthetischen Biologie besteht darin, dass bislang kein derartiges Engineering vorgeschlagen wurde. Die in der Vergangenheit vorgeschlagenen Werkzeuge verhielten sich wie ein binäres Alles-oder-Nichts-System, das an- oder ausgeschaltet ist. Denken wir nur an die Verabreichung von Penicillin. Da es kein Regelsystem gibt, das sich bei der Dosierung eines Medikaments auf biologische Sensoren stützt, muss ein Diabetespatient ständig die Insulinkonzentration in seinem Blut überwachen. In ihrer Arbeit am LPDI konzentriert sich Sailan Shui auf diese Arten von biologischen Sensoren und Schaltern, die wahrscheinlich zu einer wesentlichen Verbesserung der Medikamentenabgabe bei Patienten und anderen biologischen Systemen führen werden. "Sailan Shui war mit dem Ein/Aus-Paradigma nicht zufrieden und beschloss, einen Schalter zu entwerfen, der auf Veränderungen in der inneren und äußeren Umgebung einer Zelle reagieren kann. Sie ließ sich also von der Funktionsweise eines Bandpassfilters inspirieren, um sein biologisches Äquivalent zu entwickeln", erklärt Bruno Correia.

Sailan Shui hat sich von der Funktionsweise eines Bandpassfilters inspirieren lassen, um sein biologisches Äquivalent zu entwickeln.

Professor Bruno Correia, der Leiter des LPDI
Um diese neue Funktion in biologischen Systemen hervorzubringen, entwarf das Team Proteine und fügte sie in lebende Zellen ein. In der Biologie ergibt sich die Funktion aus der Form. Bruno Correia und Sailan Shui beobachteten die Struktur von gefalteten Proteinen und ihre Wirkung auf selbstregulierende Funktionen in der Zelle. Anschließend entwickelten sie auf der Grundlage dieser Beobachtungen numerische Modelle, die als Bandpassfilter dienen könnten. Nachdem sie das numerische Design mithilfe von Computersimulationen validiert hatten, gingen sie dazu über, eine Proteinstruktur durch Manipulation ihrer DNA und ihrer Aminosäurekonfiguration zu konstruieren, bevor sie das Design in Zellkulturen testeten. Die Ergebnisse waren überzeugend. Ihr Design, das sie im Rahmen eines offenen Forschungsansatzes mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft teilen, wird sicherlich von anderen Forschungsteams auf der ganzen Welt auf neuartige Weise genutzt werden.

Als hypothetische Anwendung in der synthetischen Biologie könnten Wissenschaftler ein System entwickeln, das wie ein Bandpassfilter funktioniert, um die Insulinabgabe je nach Blutzuckerspiegel zu regulieren. Künstlich hergestellte Proteine würden als Sensoren fungieren, die einen hohen Blutzuckerspiegel erkennen und die Insulinausschüttung auslösen, bis der Spiegel wieder auf Normalniveau sinkt. Dieser Ansatz würde die Insulindosierung automatisieren und könnte das Diabetesmanagement verbessern und die Notwendigkeit einer häufigen Überwachung verringern. Ein solches System wäre ein bedeutender Fortschritt bei der Nutzung der synthetischen Biologie für therapeutische Zwecke.

Dieses Grundlagenforschungsprogramm ist unerlässlich für die Entwicklung von Werkzeugen, Bausteinen und Materialien für die Zukunft der synthetischen Biologie. "Wir haben eine klare Methodik, aber wir vernachlässigen auch nicht die Rolle des Zufalls in der Wissenschaft. Es war Leo Scheller, ein Forscher in meinem Labor, der den nötigen Weitblick hatte, um die Bedeutung dieser Arbeit zu erkennen. Es war eine kollegiale Arbeit", schließt Bruno Correia. Eine Anstrengung innerhalb eines Teams, die die Disziplin ein Stück näher an die Entwicklung besserer Technologien zur Verabreichung von Medikamenten, effizienterer Bioreaktoren und sogar ganz neuer Formen von biologischen Entitäten heranbringt.

Referenzen

Shui, S., Scheller, L. & Correia, B.E. Protein-based bandpass filters for controlling cellular signaling with chemical inputs. Nat Chem Biol (2023). https://doi.org/10.1038/s41589­’023 -01463-7