Ein Team der Universität Genf hat zwei Schlüsselgene identifiziert, deren Expression das Fortschreiten von Krebs beeinflusst.
Gewebe, Gefäße, Zellen: Tumore entwickeln sich in einem komplexen Ökosystem, das als Tumormikroumgebung bezeichnet wird. Es ist bekannt, dass sich diese Umgebung von Patient zu Patient unterscheidet und dass sie den Krankheitsverlauf positiv oder negativ beeinflussen kann, doch die Regeln, nach denen sie funktioniert, sind noch nicht vollständig verstanden. Einem Team der Universität Genf ist es gelungen, eine dieser Regeln zu entschlüsseln, indem sie ein Paar Gene identifiziert haben, deren Expression das Fortschreiten des Krebses beschleunigen oder bremsen kann. Diese vielversprechenden Ergebnisse sind in der Zeitschrift Science zu finden.
Das Ökosystem, in dem sich ein Tumor entwickelt, wird als ’Tumormikroumgebung’ bezeichnet. Es besteht aus Blutgefäßen, Immunzellen und anderen scheinbar normalen Zellen und steht in ständiger Wechselwirkung mit den Tumorzellen. Diese Komponenten, die sich von Patient zu Patient unterscheiden, haben einen entscheidenden Einfluss auf den Krankheitsverlauf: Sie können das Fortschreiten der Krankheit beschleunigen oder bremsen. Die Mechanismen, die ihre Veränderungen und Interaktionen steuern, sind jedoch noch nicht vollständig verstanden.
Die sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen von Krebs bei verschiedenen Patienten stellen oft eine große Schwierigkeit bei der Erforschung der Krankheit dar. Hier hingegen konnten wir diese Unterschiede zwischen den Patienten nutzen, um die Regeln aufzudecken, die den Verlauf der Krankheit bestimmen’, erklärt Mikaël Pittet, ordentlicher Professor an der medizinischen Fakultät der Universität Genf, Inhaber des ISREC-Lehrstuhls für Immunonkologie, Direktor des Zentrums für translationale Forschung in der Onko-Hämatologie (CRTOH) und Mitglied des Ludwig Institute for Cancer Research (Lausanne).
Zwei Schlüsselgene
Bisher wurden in den meisten Studien Zellpopulationen aus den Tumorökosystemen verschiedener Patienten zusammengefasst und unterschiedslos beobachtet. Diese Methode ermöglicht die Klassifizierung von Tumormikroumgebungen auf der Grundlage allgemeiner Kriterien, aber nicht die Analyse ihrer Variationen von Mensch zu Mensch. Um dies zu ändern, untersuchte das Team um Mikaël Pittet 52 Kopf- und Halstumoren von ebenso vielen Patienten einzeln. Es gelang ihnen, die Tumore zu vergleichen und einen Schlüsselparameter zu identifizieren, der die Tumore steuert: die Expression der Gene CXCL9 und SPP1 durch Immunzellen, die als Makrophagen bezeichnet werden.
In der Mikroumgebung von Tumoren werden diese beiden Gene von diesem speziellen Zelltyp antagonistisch exprimiert", erklären Ruben Bill, Postdoktorand, und Pratyaksha Wirapati, Bioinformatiker, beide Co-Erstautoren der Studie und Mitglieder der Gruppe von Mikaël Pittet. Wir haben herausgefunden, dass Patienten mit einer hohen Expression von CXCL9 im Verhältnis zu SPP1 in Makrophagen bessere klinische Ergebnisse erzielen als Patienten mit einem umgekehrten Verhältnis.
Makrophagen, die das erste Gen stärker exprimieren, sind an Angriffen auf Krebszellen beteiligt, während Makrophagen, die das zweite Gen stärker exprimieren, am Wachstum der Krebszellen mitwirken. Tumormakrophagen sind in der Lage, das eine oder das andere Programm zu starten, je nachdem, welche Gene CXCL9 und SPP1 sie exprimieren. Man spricht in diesem Zusammenhang von Makrophagenpolarität.
Weiterreichende Implikationen
zu ihrer Überraschung fanden die Wissenschaftler heraus, dass diese Polarität mit allen Komponenten des Tumor-Ökosystems zusammenhängt. Wenn also das Verhältnis von CXCL9 zu SPP1 in den Makrophagen hoch ist, nehmen auch die Aktivitäten der anderen Zellen der Tumormikroumgebung eine antitumorale Ausrichtung an, und umgekehrt, wenn dieses Verhältnis umgekehrt ist.
’Die einfache Beobachtung des Verhältnisses dieses Genpaares in Makrophagen lässt also Rückschlüsse auf die Gesamtaktivität der Zellen zu, die die Tumormikroumgebung bilden. Mit anderen Worten: Die Tumormikroumgebung scheint von kohärenten und relativ einfachen internen Regeln bestimmt zu werden. Diese Studie hat es uns ermöglicht, eine dieser Regeln zu beschreiben’, freut sich Mikaël Pittet.
Für die Wissenschaftler werden die nächsten Schritte darin bestehen, herauszufinden, wie man therapeutisch in diese Netzwerke eingreifen kann und wie man die Behandlung am besten auf die Tumoreigenschaften der einzelnen Patientinnen und Patienten abstimmen kann.