Industrieabwasser gezielter behandeln dank Wasserforschung

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Das mobile Massenspektrometer MS2field - hier auf einer Kläranlage - erlaubt die
Das mobile Massenspektrometer MS2field - hier auf einer Kläranlage - erlaubt die automatisierte Messung von Schadstoffen in kleinsten Konzentrationen in hoher zeitlicher Auflösung. (Foto: Eawag)
Traditionell ist die Abwasserreinigung in der Schweiz auf das häusliche Abwasser, namentlich auf die Entfernung der Nährstoffe Stickstoff und Phosphor ausgerichtet. Erst in jüngerer Zeit stehen auch problematische Rückstände von Arzneimitteln, Pestiziden und anderen Chemikalien im Fokus. Eine neue Untersuchung des Wasserforschungsinstituts Eawag im Auftrag des Bundes zeigt nun, dass es auch beim Abwasser aus Chemieund Pharmabetrieben noch Verbesserungspotential gibt - auf den Kläranlagen und innerhalb der Betriebe.

Fast 40% aller Schweizer Abwasserreinigungsanlagen (ARA) haben chemisch-pharmazeutische Unternehmen in ihrem Einzugsgebiet und reinigen somit potentiell auch Abwasser aus diesen Betrieben. Oft war aber bisher gar nicht genau bekannt, welche Stoffe in welchen Konzentrationen darin vorkommen, und längst nicht alle der Substanzrückstände werden heute von den ARA entfernt. Zwei neue, soeben in der Zeitschrift Aqua&Gas publizierte Studien der Eawag helfen den Unternehmen mit gezielten Messkampagnen, ihre Betriebsabläufe oder Abwasservorbehandlungen zu verbessern. Ziel ist es, dass weniger der unerwünschten Substanzen ins Abwasser, zu den ARA und schliesslich in die Umwelt gelangen.

Mit Messkampagne zu gezielten Massnahmen

Leitet ein Chemieoder Pharmabetrieb Abwasser in Gewässer oder die Kanalisation ein, sind die zulässigen maximalen Konzentrationen für einzelne Schwermetalle oder Summengehalte für organische Kohlenwasserstoffe in der schweizerischen Gewässerschutzverordnung geregelt. Für einzelne organische Wirkstoffe hingegen kennt die Verordnung keine Grenzwerte. Das trägt dazu bei, dass diese Substanzen im Betriebsabwasser oft gar nicht gemessen werden. Dies obwohl die verschiedenen Einzelstoffe aufgrund ihrer Langlebigkeit, Mobilität oder Wirkung auf Gewässerorganismen für den Gewässerschutz relevant sein können. Messdaten liefern jedoch wichtige Informationen, um die bereits bestehenden Massnahmen der Betriebe gezielt zu verbessern. In den zwei heute publizierten Studien ist die Eawag daher zusammen mit den Betrieben der komplexen Zusammensetzung von industriellem Abwasser mit modernsten Messtechniken nachgegangen.

Grosse Unterschiede zwischen Herstellung und Weiterverarbeitung

Beide Studien entstanden in Zusammenarbeit mit kantonalen Fachstellen und der chemisch-pharmazeutischen Industrie. Die eine Studie untersuchte das Abwasser von Substanzherstellern (synthetisierende Betriebe). Die meisten dieser Betriebe verfügen über eine eigene Abwasserbehandlung oder sind mit anderen Firmen gemeinsam an eine Industriekläranlage angeschlossen. In ihrem Abwasser wurde erwartungsgemäss eine grosse Substanzvielfalt aus Ausgangsstoffen, Zwischenund Endprodukten gefunden. Bis zu 15mal mehr verschiedene Stoffe massen die Forschenden im gereinigten Abwasser der Industriekläranlagen als in ARA mit nur kommunalem Abwasser.

Die zweite Untersuchung konzentrierte sich auf Firmen, welche die Wirkstoffe zu Endprodukten (Tabletten, Kapseln, Lösungen, Crèmes etc.) verarbeiten. Sie werden als formulierend bezeichnet. Bei ihnen war das Spektrum der Stoffe deutlich kleiner. Hingegen wurden hier kurzzeitig stark erhöhte Konzentrationen im Abwasser detektiert, das nach dem Waschen von Anlagen entsteht, wenn auf eine neue Produktionscharge umgestellt wurde.

Ob ein Stoff für die Gewässerökologie gefährlich ist, hängt nicht nur von der Konzentration der Substanz, sondern auch von ihrer Toxizität oder Langlebigkeit ab. Ein beteiligter synthetisierender Industriebetrieb hat daher zusammen mit einem privaten Labor auch Ökotoxizitätstests mit Algen und Wasserpflanzen durchgeführt, um die relevantesten Substanzen identifizieren und mögliche Massnahmen priorisieren zu können. Dabei kam heraus, dass teilweise eine einzige Substanz die Toxizität im Abwasser erklären konnte und dass auch tiefe Konzentrationen ökotoxikologisch relevant sein können. Der betroffene Betrieb konnte aufgrund dieser Erkenntnisse die Produktionsprozesse anpassen und die Toxizität im Abwasser stark reduzieren.

Interessant war zudem, dass die Produktionsrhythmen von Firmen anhand von Konzentrationsspitzen noch sehr weit flussabwärts nachgewiesen werden konnten. So mass die Rheinüberwachungsstation unterhalb Basel nach vier Tagen eindeutig zuweisbare Peaks aus der Methadon-Produktion eines Industriebetriebs, der über 100 km flussaufwärts liegt. «Das Abwasser aus einem einzigen Betrieb kann also die Gewässerqualität weit flussabwärts und selbst bei einer grossen Verdünnung beeinflussen», heisst es dazu in der Studie. Mit den Hinweisen aus den Messungen im Rhein konnte der Betrieb schnell auf die ungewollten Wirkstoffverluste reagieren.

Kurzzeitige Konzentrationsspitzen nach Anlagenreinigungen

Für die Studie zu den formulierenden Betrieben setzten die Forschenden auch das transportierbare und automatisierte Massenspektrometer MS2field ein (siehe auch Video unten), mit welchem zeitlich hoch aufgelöste Messungen nahezu in Echtzeit im Abwasser erfasst werden können. So fanden sie auch Wirkstoffe, welche normalerweise im kommunalen Abwasser gar nicht auftauchen, etwa aus Medikamenten, welche ausschliesslich für den internationalen Markt produziert werden. Durch pulsartige Abwassereinträge, zum Beispiel nach dem Waschen von Anlagen und Behältern, wurden Wirkstoffkonzentrationen bis 1 mg/L in den Zuläufen der Kläranlagen gemessen. Diese kurzzeitigen Konzentrationsspitzen liegen mehrere Grössenordnungen über den Werten, welche normalerweise durch Einträge von Haushaltsabwasser zustande kommen.

Vorbehandlung bringt viel

Stoffe aus chemisch-pharmazeutischen Betrieben werden in klassischen Kläranlagen teilweise nur schlecht abgebaut. Die beiden Studien zeigten aber, dass Betriebe mit gut funktionierenden Vorbehandlungsanlagen ihre Stoffeinträge signifikant senken können. In formulierende Betrieben haben einfache, innerbetriebliche Massnahmen oft schon grosse Effekte. Beispielsweise wurde in zwei Betrieben anhand der Messungen festgestellt, dass hochkonzentrierte Lösungen unbewusst direkt zur ARA geleitet wurden. Die Betriebe konnten diese Einträge anhand der Informationen mit wenig Aufwand stoppen. Bei synthetisierenden Betrieben braucht es aufgrund von komplexeren Prozessen Reduktionsmassnahmen an verschiedenen Stellen des Abwasseranfalls, von der eigentlichen Produktion bis zur zentralen ARA.

Die Studien und die Zusammenarbeit zwischen Forschung und Industrie haben also das Bewusstsein aller Beteiligten für die Abwasserthematik in chemisch-pharmazeutischen Betrieben geschärft und bereits zu mehreren Verbesserungen geführt. Die Erkenntnisse unterstützen damit auch weitere Betriebe in deren Bestrebungen, Stoffeinträge in Gewässer zu minimieren.
Andri Bryner