Orale Peptide: Eine neue Ära in der Arzneimittelentwicklung

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Orale Peptide: Eine neue Ära in der Arzneimittelentwicklung

Wissenschaftler der EPFL haben stabile, oral absorbierbare zyklische Peptide entwickelt, deren Bioverfügbarkeit deutlich höher ist als die bisheriger Peptide. Dieser Durchbruch würde die Entwicklung einer Klasse von Medikamenten ermöglichen, die auf bislang unheilbare Krankheiten wie bestimmte Krebsarten abzielen können.

Jahrzehntelang waren viele Proteine, die für die Behandlung verschiedener Krankheiten entscheidend sind, unbekannt und wurden daher im Rahmen der oralen Arzneimitteltherapie nicht in Betracht gezogen. Herkömmliche kleine Moleküle haben oft Schwierigkeiten, sich an Proteine mit flachen Oberflächen zu binden, oder müssen spezifisch für bestimmte homologe Proteine sein. Größere Biologika, die auf diese Proteine abzielen können, müssen in der Regel injiziert werden, was sich auf den Komfort und die Zugänglichkeit für die Patientinnen und Patienten auswirkt.

Es ist uns gelungen, zyklische Peptide zu entwickeln, die an ein pathologisches Ziel unserer Wahl binden und die auch oral verabreicht werden können.

Professor Christian Heinis, EPFL



In einer kürzlich in der Zeitschrift Nature Chemical Biology veröffentlichten Studie haben Wissenschaftler aus dem Labor von Christian Heinis an der EPFL einen wichtigen Schritt in der Arzneimittelentwicklung gemacht. Ihre Forschung ebnet den Weg für eine neue Klasse von Medikamenten, die oral erhältlich sind, und ist damit eine Antwort auf eine seit langem bestehende Herausforderung der Pharmaindustrie.

"Man hat die Zielstrukturen für viele Krankheiten identifiziert, aber Medikamente, die an diese Zielstrukturen binden und sie erreichen, konnten noch nicht entwickelt werden", sagt Christian Heinis. "Die meisten dieser Krankheiten sind Krebsarten. Viele Zielstrukturen bei diesen Krebsarten sind Protein-Protein-Interaktionen, die eine große Rolle beim Tumorwachstum spielen, aber nicht gehemmt werden können."

Die Studie befasste sich mit zyklischen Peptiden. Dabei handelt es sich um vielseitige Moleküle, die für ihre hohe Affinität und Spezifität bei der Bindung an komplexe pathologische Ziele bekannt sind. Gleichzeitig hat es sich als schwierig erwiesen, zyklische Peptide als orale Arzneimittel zu entwickeln, weil sie schnell verdaut oder schlecht aus dem Magen-Darm-Trakt aufgenommen werden.

"Zyklische Peptide sind für die Arzneimittelentwicklung von großem Interesse, da diese Moleküle an komplexe Zielstrukturen binden können, für die es bisher schwierig war, mit etablierten Methoden Medikamente zu entwickeln", sagt Christian Heinis. "Zyklische Peptide können jedoch in der Regel nicht oral in Pillenform verabreicht werden, was ihre Anwendung erheblich einschränkt."

Fortschritte bei der Zyklisierung

Das Forschungsteam nahm das Enzym Thrombin ins Visier, das aufgrund seiner wichtigen Rolle bei der Blutgerinnung ein kritisches pathologisches Ziel darstellt. Die Regulierung von Thrombin ist entscheidend für die Prävention und Behandlung von thrombotischen Erkrankungen wie Schlaganfall und Herzinfarkt.

Um ausreichend stabile zyklische Peptide zu entwickeln, die auf Thrombin abzielen können, entwickelten die Wissenschaftler eine zweistufige kombinatorische Synthesestrategie, um eine umfangreiche Bibliothek zyklischer Peptide mit Thioetherbindungen zu synthetisieren, was ihre metabolische Stabilität verbessert, wenn sie oral eingenommen werden.

"Es ist uns gelungen, zyklische Peptide zu entwickeln, die an ein pathologisches Ziel unserer Wahl binden und die auch oral verabreicht werden können", sagt Christian Heinis. "Dafür haben wir eine Methode entwickelt, bei der Tausende von kleinen zyklischen Peptiden mit zufälligen Sequenzen im Nanometermaßstab chemisch synthetisiert und in einem Hochdurchsatzverfahren untersucht werden."

Zwei Schritte, "one pot"

Die neue Methode besteht aus zwei Schritten und findet in demselben Reagenzbehälter statt, eine Eigenschaft, die von Chemikern als "one pot" bezeichnet wird.

Im ersten Schritt werden lineare Peptide synthetisiert, die dann einen chemischen Prozess durchlaufen, um eine Ringstruktur zu bilden - in der Fachsprache nennt man dies "zyklisiert". Hierzu werden "bis-elektrophile Bindemittel" verwendet, d. h. chemische Verbindungen, die zur Verbindung zweier molekularer Gruppen eingesetzt werden, um stabile Thioetherbindungen zu bilden.

Im zweiten Schritt werden die zyklisierten Peptide einer Acylierung unterzogen. Dieser Prozess bindet Carbonsäuren an sie, wodurch ihre Molekülstruktur weiter diversifiziert wird.

Bei dieser Technik entfallen zwischengeschaltete Reinigungsschritte, so dass ein Hochdurchsatz-Screening direkt in den Syntheseplatten möglich ist. Dabei werden die Synthese und das Screening von Tausenden von Peptiden kombiniert, um Kandidaten zu identifizieren, die eine hohe Affinität zu spezifischen pathologischen Zielen - hier Thrombin - haben.

Mit dieser Methode konnte der Doktorand Manuel Merz, der das Projekt leitet, eine vollständige Bibliothek von 8.448 zyklischen Peptiden mit einem durchschnittlichen Molekulargewicht von etwa 650 Dalton (Da) herstellen, was leicht über der empfohlenen Höchstgrenze von 500 Da für oral verfügbare kleine Moleküle liegt. Die zyklischen Peptide zeigten außerdem eine hohe Affinität zu Thrombin.

Bei Tests an Ratten wiesen die Peptide eine orale Bioverfügbarkeit von bis zu 18% auf. Mit anderen Worten: Wenn das Arzneimittel aus zyklischen Peptiden oral eingenommen wird, schaffen es 18% von ihnen, in den Blutkreislauf zu gelangen und eine therapeutische Wirkung zu entfalten. Wenn man bedenkt, dass oral verabreichte zyklische Peptide in der Regel eine Bioverfügbarkeit von weniger als 2% aufweisen, ist die Erhöhung dieses Prozentsatzes auf 18% ein großer Fortschritt für Arzneimittel der Kategorie Biologika, zu der auch Peptide gehören.

Zielgruppen anvisieren

Indem das Team die orale Bioverfügbarkeit von zyklischen Peptiden ermöglichte, eröffnete es die Möglichkeit, eine Reihe von Krankheiten zu behandeln, die mit herkömmlichen oralen Medikamenten nur schwer zu behandeln sind. Dank ihrer Vielseitigkeit kann die Methode so angepasst werden, dass sie auf eine Vielzahl von Proteinen abzielt, was zu Durchbrüchen in Bereichen führen könnte, in denen der medizinische Bedarf noch nicht gedeckt ist.

"Um die Methode auf komplexere pathologische Ziele, wie Protein-Protein-Interaktionen, anzuwenden, müssen wahrscheinlich größere Bibliotheken synthetisiert und untersucht werden", erklärt Manuel Merz. "Durch die Automatisierung weiterer Schritte der Methode scheinen Bibliotheken mit mehr als einer Million Molekülen in Reichweite zu sein."

In der nächsten Phase dieses Projekts werden die Forscherinnen und Forscher an mehreren Zielen der intrazellulären Protein-Protein-Interaktion arbeiten, für die es bisher schwierig war, Inhibitoren auf der Grundlage herkömmlicher kleiner Moleküle zu entwickeln. Sie sind davon überzeugt, dass zumindest für einige dieser Ziele oral verabreichbare zyklische Peptide entwickelt werden können.

Andere Mitwirkende

Zentrum für Phäno-Genomik der EPFL.

Referenzen

Manuel L. Merz, Sevan Habeshian, Bo Li, Jean-Alexandre G. L. David, Alexander L. Nielsen, Xinjian Ji, Khaled Il Khwildy, Maury Duany Benitez, Phoukham Phothirath, Christian Heinis. De novo development of small cyclic peptides that are orally bioavailable. Nature Chemical Biology 28 December 2023. DOI: 10.1038/s41589’023 -01496-y