Fortgeschrittene Theorie der Elektronenstruktur von Wasser

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Fortgeschrittene Theorie der Elektronenstruktur von Wasser
Wissenschaftler der EPFL haben die elektronische Struktur von Wasser entschlüsselt, was neue Möglichkeiten für Technologie- und Umweltanwendungen eröffnet.

Es besteht kein Zweifel daran, dass Wasser von entscheidender Bedeutung ist. Ohne Wasser wäre das Leben auf der Erde nie entstanden, geschweige denn hätte es bis heute Bestand, ganz zu schweigen von seiner Rolle in der Umwelt selbst, denn die Ozeane bedecken mehr als 70% des Planeten.

Doch trotz seiner Allgegenwärtigkeit weist flüssiges Wasser elektronische Komplexitäten auf, die Wissenschaftler aus den Bereichen Chemie, Physik und Technik lange Zeit vor Rätsel gestellt haben. Beispielsweise ist die Elektronenaffinität, d. h. die energetische Stabilisierung, die ein freies Elektron erfährt, wenn es von Wasser eingefangen wird, experimentell noch nicht ausreichend charakterisiert.

Selbst die derzeit genaueste Theorie der Elektronenstruktur hat die Kenntnisse darüber nicht verbessert, was bedeutet, dass wichtige physikalische Größen wie die Energie, mit der Elektronen aus externen Quellen in flüssiges Wasser injiziert werden können, nach wie vor nicht fassbar sind. Diese Eigenschaften sind für das Verständnis des Verhaltens von Elektronen in Wasser unerlässlich und könnten in biologischen Systemen, Umweltzyklen und technologischen Anwendungen wie der Umwandlung von Sonnenenergie eine Rolle spielen.

In einer aktuellen Studie haben die EPFL-Forscher Alexey Tal, Thomas Bischoff und Alfredo Pasquarello große Fortschritte erzielt. Ihre Studie, die in der Zeitschrift PNAS veröffentlicht wurde, befasst sich mit der elektronischen Struktur von Wasser und verwendet dazu Berechnungsmethoden, die über die derzeit fortschrittlichsten Ansätze hinausgehen.

Unsere Untersuchung der Energieniveaus von Wasser bringt die High-Level-Theorie näher an die Erfahrung heran

Professor Alfredo Pasquarello, EPFL


Diese Forscher untersuchten das Wasser mithilfe einer Methode, die auf der "Theorie der Mehrkörperstörungen" basiert. Dabei handelt es sich um einen komplexen mathematischen Rahmen, der verwendet wird, um die Wechselwirkungen mehrerer Teilchen in einem System, wie z. B. Elektronen in einem Festkörper oder einem Molekül, zu untersuchen. Dabei wird untersucht, wie diese Teilchen das Verhalten der anderen Teilchen beeinflussen, und zwar nicht isoliert, sondern als Teil einer größeren Gruppe, die miteinander interagiert. Vereinfacht gesagt, ermöglicht die Mehrkörper-Störungstheorie die Berechnung und Vorhersage der Eigenschaften eines Mehrteilchensystems unter Berücksichtigung aller komplexen Wechselwirkungen zwischen seinen Bestandteilen.

Die Physiker haben die Theorie jedoch mit sogenannten "Vertexkorrekturen" verfeinert: Modifikationen der Theorie der Mehrkörperstörungen, die die komplexen Wechselwirkungen zwischen den Teilchen über die einfachsten Näherungen hinaus berücksichtigen. Vertexkorrekturen verfeinern die Theorie, indem sie berücksichtigen, wie diese Wechselwirkungen die Energieniveaus der Teilchen beeinflussen, z. B. ihre Reaktion auf externe Felder oder ihre eigene Energie. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Vertexkorrekturen eine genauere Vorhersage der physikalischen Eigenschaften eines Vielteilchensystems ermöglichen.

Modellierung der elektronischen Eigenschaften von Wasser

Die Modellierung von flüssigem Wasser ist besonders schwierig. Ein Wassermolekül enthält ein Sauerstoffatom und zwei Wasserstoffatome. Ihre thermische Bewegung und die Quantennatur ihrer Kerne spielen eine Schlüsselrolle. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte haben die Forscher die elektronischen Eigenschaften von Wasser genau bestimmt, darunter sein Ionisierungspotenzial, seine Elektronenaffinität und seine Bandlücke. Diese Ergebnisse sind entscheidend für das Verständnis der Wechselwirkung von Wasser mit Licht und anderen Substanzen auf elektronischer Ebene.

"Unsere Untersuchung der Energieniveaus von Wasser bringt die hochkarätige Theorie näher an das Experiment heran", sagt Alfredo Pasquarello. Alexey Tal unterstreicht ebenfalls die Bedeutung dieser Methode: "Dank der fortgeschrittenen Beschreibung der Elektronenstruktur konnten wir auch ein genaues Absorptionsspektrum erstellen".

Diese Ergebnisse haben noch weitere Auswirkungen. Die vom EPFL-Team angewandten theoretischen Entwicklungen legen den Grundstein für einen neuen, universell anwendbaren Standard, um präzise elektronische Strukturen von Materialien zu erhalten. Es handelt sich um ein hochprädiktives Werkzeug, das unser grundlegendes Verständnis der elektronischen Eigenschaften in der Wissenschaft der kondensierten Materie revolutionieren könnte, mit Anwendungen bei der Suche nach Materialeigenschaften, die spezifische elektronische Funktionalitäten aufweisen.

Referenzen

Alexey Tal, Thomas Bischoff, Alfredo Pasquarello. Absolute energy levels of liquid water from many-body perturbation theory with effective vertex corrections. PNAS 26 February 2024. DOI: 10.1073/pnas.2311472121