Das Gehirn und das Rückenmark sind die zentralen Säulen des menschlichen Zentralnervensystems (ZNS) und orchestrieren alles von der Bewegung bis zur Empfindung. Trotz bedeutender Fortschritte in den Neurowissenschaften ist unser Verständnis der Interaktion zwischen diesen beiden entscheidenden Komponenten des ZNS nach wie vor begrenzt. Ein umfassender Überblick über das gesamte ZNS wird die Entwicklung von Therapien für neurologische Störungen fördern, insbesondere für solche, die sowohl das Gehirn als auch das Rückenmark betreffen, wie Rückenmarksverletzungen und neurodegenerative Erkrankungen.
Diese Forschung ermöglicht es uns, das ZNS in seiner Gesamtheit zu betrachten, was entscheidend ist, wenn wir wirksame Therapien entwickeln wollen, die auf komplexe neurologische Erkrankungen abzielen.
Dimitri Van De Ville, Labor für medizinische Bildverarbeitung (MIP:lab)
Um diese Lücke zu schließen, haben Wissenschaftler des Instituts Neuro X der EPFL, des Departements für Radiologie und medizinische Informatik der Universität Genf und des Montreal Neurological Institute der McGill University (The Neuro) ein Werkzeug entwickelt, das unser Verständnis der Organisation des zentralen Nervensystems erheblich voranbringt. Ihre neue Studie, die in der Fachzeitschrift Imaging Neuroscience veröffentlicht wurde , kartographiert erfolgreich die funktionelle Konnektivität zwischen Gehirn und Rückenmark beim Menschen und liefert so einen detaillierteren Einblick in die Art und Weise, wie diese beiden kritischen Komponenten interagieren.
"Diese Forschung ermöglicht es uns, das ZNS in seiner Gesamtheit zu sehen, was entscheidend ist, wenn wir wirksame Therapien entwickeln wollen, die auf komplexe neurologische Erkrankungen abzielen. Das Bildgebungsinstrument - eine Reihe von Technologien und Protokollen - verbessert unser Verständnis der somatotopischen Organisation erheblich. Das bedeutet, dass wir nun sehen können, wie verschiedene Körperteile auf bestimmte Bereiche des Gehirns und des Rückenmarks abgebildet werden", erklärt Dimitri Van De Ville, Leiter des Labors für medizinische Bildverarbeitung (MIP:lab) an der EPFL und einer der Hauptautoren der Studie.
Netzwerke bis ins kleinste Detail
Dieser Durchbruch, der durch eine detaillierte Analyse der Daten der gleichzeitigen funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) des Gehirns und des zervikalen Rückenmarks erzielt wurde, liefert völlig neue Erkenntnisse darüber, wie das Gehirn und das Rückenmark zusammenarbeiten, um den Körper als Ganzes abzubilden. Daraus ergibt sich eine Karte des Körpers, die sich über die verschiedenen Ebenen des ZNS erstreckt.Aufbauend auf früheren Forschungen in den am MIP:lab entwickelten Techniken der funktionellen Bildgebung hat die Gruppe algorithmische Modelle verwendet, um spezifische Regionen von Interesse sowohl im Gehirn als auch im Rückenmark zu isolieren und zu identifizieren. Für das Rückenmark konnten mit diesem Ansatz die Segmente der Wirbelsäule, die für die Innervation verschiedener Körperteile verantwortlich sind, genau abgegrenzt werden, wodurch unser Verständnis der Organisation innerhalb des Rückenmarks selbst verbessert wurde.
Um die Interaktionen zwischen Gehirn und Rückenmark zu untersuchen, griffen die Forscher auf Analysen der funktionellen Konnektivität zurück. Indem sie die synchronisierte Aktivität zwischen Gehirn und Rückenmark untersuchten, konnten sie herausfinden, wie bestimmte Bereiche des Gehirns und des Rückenmarks mit verschiedenen Teilen des Körpers korrespondieren. Dieser Ansatz ermöglichte es, eine detaillierte Karte der Netzwerke zu erstellen, die Gehirn und Rückenmark miteinander verbinden, und eröffnete so neue Einblicke in die Art und Weise, wie das zentrale Nervensystem als einheitliches Ganzes funktioniert.
Unsere Ergebnisse zeigen, dass das Gehirn und das Rückenmark selbst im Ruhezustand eine genaue Karte des Körpers beibehalten. Diese Erkenntnisse könnten zur Entwicklung präziserer Behandlungsmethoden beitragen.
Nawal Kinany
Ein methodischer Rahmen für Fortschritte
"Unsere Ergebnisse zeigen, dass das Gehirn und das Rückenmark selbst im Ruhezustand eine genaue Karte des Körpers behalten", sagt Nawal Kinany, Koautorin des Artikels. Sie fügt hinzu: "Der methodische Rahmen, der in dieser Forschung eingeführt wurde, ist für Fortschritte in diesem Bereich von entscheidender Bedeutung und kann auch in klinischen Populationen eingesetzt werden, z. B. um die Reorganisation des ZNS nach Verletzungen oder Amputationen von Gliedmaßen zu untersuchen. In Zukunft könnte dieses Wissen zur Entwicklung präziserer Behandlungen und Interventionen beitragen und so die Ergebnisse für die Patienten verbessern."Eine weitere Schlüsselinnovation ist die Fähigkeit der Forscherinnen und Forscher, die technischen Herausforderungen zu überwinden, die mit der gleichzeitigen Bildgebung von zwei anatomisch unterschiedlichen Teilen des zentralen Nervensystems verbunden sind, für die traditionell getrennte Scans erforderlich sind. Die Daten wurden im Neurozentrum in Montreal unter der Aufsicht von Julien Doyon, einem führenden Forscher auf diesem Gebiet und Schlüsselmitarbeiter des Projekts, gesammelt. Sein Fachwissen im Bereich Neuroimaging und die hochmodernen Einrichtungen des Labors spielten eine entscheidende Rolle bei der Erhebung der qualitativ hochwertigen fMRT-Daten, die diese detaillierte Kartierung der Konnektivität zwischen Gehirn und Rückenmark ermöglichten.
Durch die Integration modernster Bildgebungstechniken und kollaborativer Forschung liefern die Ergebnisse einen grundlegenden Rahmen für zukünftige Erkundungen der Funktion und Dysfunktion des ZNS.