Verwesung unter der Lupe

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Verwesung unter der Lupe

Forschende der Universität Bern haben Verwesungsvorgänge an Schweinekadavern untersucht, die in der Natur ausgelegt waren. Dabei zeigte sich, dass die bisherige Standardmethode zur Bewertung der Verwesung für die Schweiz angepasst werden muss - mit Auswirkungen auf forensische Analysen. Die von den Forschenden vorgestellte Methode soll nun dabei helfen, die Leichenliegezeit von Toten besser einzugrenzen.

Ein toter Körper zersetzt sich mithilfe verschiedener Organismen wie Darmbakterien, Fliegen, Maden oder Käfern, was die Eingrenzung der Liegezeit von Leichen in der Forensik erschwert: je weiter fortgeschritten die Verwesung, desto schwieriger die Bestimmung des Todeszeitpunktes. Diverse Methoden zielen deshalb darauf ab, den Verwesungszustand mit der Leichenliegezeit zu korrelieren. Dazu wird der Körper in drei Bereiche unterteilt - Kopf und Hals, Rumpf und Extremitäten - und der Zustand mittels eines Punktesystems bewertet. Die drei Bereiche werden dann zu dem sogenannten Total Body Score (TBS) addiert.

Mit Hilfe von bestimmten Formeln können Forensikerinnen und Forensiker anhand dieses Total Body Score bei forensischen Fällen auf den Zeitraum des Todes zurückrechnen. Allerdings sind diese Berechnungen oft ungenau, was hauptsächlich an den Umgebungsbedingungen der Leichenfunde liegt. Sandra Lösch von der Abteilung Anthropologie am Institut für Rechtsmedizin der Universität Bern, erklärt: ’Es ist daher notwendig, Versuche unter kontrollierten Bedingungen durchzuführen und diese Einflüsse zu untersuchen.’ Mancherorts sind solche Versuche an menschlichen Leichen möglich, in den meisten Ländern allerdings nicht. Daher werden Tierkadaver verwendet, vorzugsweise Hausschweine. ’Obschon sich die Verwesung von Mensch und Schwein in vielerlei Hinsicht unterscheidet, lassen sich dennoch wichtige Erkenntnisse aus solchen Versuchen ziehen, die forensische Methoden verbessern können’, sagt Lösch.

Andere Regionen, andere Zersetzung

Eine Studie von einem internationalen Forschungsteam unter Berner Leitung, die kürzlich in der Zeitschrift Journal of Forensic Sciences veröffentlicht wurde, untersuchte nun in der Schweiz Verwesungsvorgänge an Schweinen und verglich die Erkenntnisse mit einer ähnlichen Studie aus Südafrika. Lara Indra von der Abteilung Anthropologie am Institut für Rechtsmedizin der Universität Bern, Hauptautorin der Studie, erklärt: ’Dass sich die Verwesungsprozesse zwischen der Schweiz und Südafrika unterscheiden, ist nicht allzu verwunderlich. Allerdings beschreiben wir erstmals, worin die Unterschiede liegen und konnten dadurch ein für die Schweiz angepasstes Modell entwickeln.’

Die Forschenden wiesen nach, dass sich das südafrikanische Modell - das Verwesung in einem warmen und trockenen Klima in einem abgesperrten Gebiet untersuchte - nicht für die Schweiz eignet. Die Unterschiede sind mit der schnellen und starken Besiedlung der Schweizer Kadaver durch Fliegenmaden zu erklären, ebenso durch häufige Regenfälle und die Aasfresser wie Füchse im Berner Versuch. Durch diese Einflüsse verändern sich Verwesungsablauf und -dauer, beispielsweise beschleunigen Maden den Prozess erheblich. Die Forschenden der Universität Bern waren die ersten, die das südafrikanische Modell zur Bewertung der Verwesungsstufen - bisher das einzige für exponierte Schweinekadaver weltweit - systematisch für eine andere Region untersucht haben. Die Resultate zeigen, dass regionale Unterschiede bei den Modellen zur Beurteilung von Verwesungsstufen berücksichtigt werden müssen. ’Weil ebendiese Beurteilung der Grundstein für die Berechnung des Todeszeitraumes bildet, erhöht ein passendes Modell die Genauigkeiten markant’, sagt Indra.

Schritt für Schritt in Richtung Todeszeitpunkt

Die Zersetzung von Kadavern hängt davon ab, wo sie verwesen - etwa unter freiem Himmel, dem Sonnenlicht ausgesetzt oder nicht, in trockener oder feuchter Umgebung. ’Die Auswirkungen von solchen äusseren Einflüssen auf den Verwesungsprozess müssen besser erforscht werden, um vom Zustand einer Leiche auf deren Liegezeit zu schliessen’, erklärt Indra. Dies ist ein wichtiger Teil ihrer Arbeit: ’Aufgrund der naturräumlichen Gegebenheiten der Schweiz haben wir regelmässig mit forensischen Fällen zu tun, die einen längeren Zeitraum in der Natur lagen, bevor sie gefunden wurden’, sagt Lösch. Dazu gehören beispielsweise Personen, die bei einer Bergwanderung in einem abgelegenen Gebiet zu Tode stürzen und erst nach Jahren entdeckt werden. ’Von dezidierteren Aussagen zum Todeszeitpunkt profitieren einerseits die kantonalen Behörden bei der Bearbeitung von Fällen, und die Hinterbliebenen erhalten genauere Informationen über das Schicksal ihrer vermissten Angehörigen’, so Lösch abschliessend.