Weltweit einzigartiges Mikrobiom auf Gletschergipfeln identifiziert

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Weltweit einzigartiges Mikrobiom auf Gletschergipfeln identifiziert
Zwei wissenschaftliche Publikationen beleuchten die Einzigartigkeit, die Komplexität und die klimabedingte Anfälligkeit des Mikrobioms von gletschergespeisten Flüssen. Die von der EPFL geleiteten Forschungsarbeiten sind in den Zeitschriften ’Nature’ und ’Nature Microbiology’ erschienen.

Die Wasserläufe, die über die Gipfel der Gletscher unseres Planeten fließen, beherbergen eine Vielzahl einzigartiger Mikroorganismen. Diese komplexen Ökosysteme waren bis vor kurzem noch weitgehend unbekannt. Ein Team von Wissenschaftlern unter der Leitung der EPFL führte eine beispiellose Studie durch, in der das Mikrobiom dieser gletschergespeisten Wasserläufe eingehend untersucht wurde. Mit Hilfe von Bergführern und Trägern sammelten und analysierten die Wissenschaftler über fünf Jahre lang Proben von 170 gletschergespeisten Wasserläufen in Neuseeland, dem Himalaya, dem russischen Kaukasus, dem Tien Shan- und Pamir-Gebirge, den europäischen Alpen, Skandinavien, Grönland, Alaska, den Rwenzori-Bergen in Uganda sowie den ecuadorianischen und chilenischen Anden.

Die Forschung wurde von Tom Battin, ordentlicher Professor für Umweltwissenschaften und Leiter des RIVER-Labors der EPFL, im Rahmen des Die wichtigsten Ergebnisse der Wissenschaftler wurden kürzlich in Nature und Nature Microbiology am 1. und 2. Januar 2025 veröffentlicht.

Ein mikrobieller Atlas

Von Gletschern gespeiste Flüsse sind die extremsten Süßwasser-Ökosysteme der Welt. Sie weisen alle fast die gleichen Merkmale auf: Temperaturen um den Gefrierpunkt, geringe Nährstoffkonzentrationen, kaum Sonneneinstrahlung im Winter und starke UV-Strahlung im Sommer. "Angesichts der extremen Bedingungen, die in den von Gletschern gespeisten Flüssen herrschen, hätten wir erwartet, dass die mikrobielle Vielfalt insgesamt gering ist und sich von Bergkette zu Bergkette kaum unterscheidet", erklärt Leïla Ezzat, Postdoktorandin und Hauptautorin des in Nature erschienenen Artikels. "Aber unsere Analysen haben das Gegenteil bewiesen: die mikrobielle Biodiversität und die Biogeographie sind in den von Gletschern gespeisten Wasserläufen auf der ganzen Welt bemerkenswert."

Die Wissenschaftler stützten sich auf ihre Probenahmen, um den weltweit ersten Atlas der Mikroben in gletschergespeisten Flüssen zu erstellen. Sie entdeckten ein einzigartiges Mikrobiom in diesen Umgebungen, das sich deutlich von anderen kryosphärischen Systemen wie Permafrost und Bergseen unterscheidet. Darüber hinaus ist fast die Hälfte der Bakterien endemisch in einer bestimmten Gebirgskette. Dies ist besonders in Neuseeland und Ecuador der Fall, Regionen, die bereits für ihre große Vielfalt an endemischen Pflanzen und Tieren bekannt sind. Die Wissenschaftler führen dieses Phänomen auf die geografische Isolation der Berge - ähnlich wie bei Inseln - und die natürliche Selektion zurück, die in diesen extremen Umgebungen besonders stark ausgeprägt ist. Der Nature-Artikel gibt auch einen Einblick in die Strategien, die es Bakterien ermöglichen, sich in einem der extremsten Ökosysteme der Erde zu entwickeln.

Überraschend komplex

Der Artikel in Nature Microbiology stellt die Analyse von Tausenden von Genomen von Bakterien, Archaeen, Pilzen, Algen und Viren vor, die in von Gletschern gespeisten Wasserläufen leben. Diese Untersuchungen haben die Komplexität dieses Mikrobioms und die vielen potenziellen Beziehungen zwischen den darin enthaltenen Organismen aufgedeckt. "Es ist faszinierend, das breite Spektrum an adaptiven Strategien zu sehen, die die Mikroorganismen entwickelt haben, um in dieser extremen Umgebung zu überleben", sagt Grégoire Michoud, Hauptautor des Artikels. "Zum Beispiel haben sich diese Mikroorganismen entwickelt, um eine Vielzahl von Substanzen zu metabolisieren - organischen Kohlenstoff, Sonnenenergie, Mineralien und wahrscheinlich sogar Gase -, was es ihnen ermöglicht, Energie aus vielen verschiedenen und schwankenden Quellen zu beziehen."

Eine Biobank im Wallis

Beide Artikel wurden zu Beginn des Jahres 2025 veröffentlicht, das von den Vereinten Nationen als Internationales Jahr zur Erhaltung der Gletscher benannt wurde. Unsere Gletscher zu erhalten bedeutet auch, die von den Gletschern gespeisten Wasserläufe und ihr Mikrobiom zu schützen - eine Aufgabe, die angesichts der schnellen Eisschmelze dringend angegangen werden muss. "Da ich die letzten Jahre damit verbracht habe, die Berggipfel der Welt zu bereisen, kann ich bestätigen, dass wir eindeutig ein einzigartiges Mikrobiom verlieren, wenn die Gletscher verschwinden", erklärt Tom Battin. Der Forscher fordert daher die Einrichtung einer Biobank, um nicht nur dieses Mikrobiom, sondern auch andere verschwindende Mikrobiome für zukünftige Generationen von Wissenschaftlern zu sichern. Diese Proben könnten zudem mit einer Biotechnologie der nächsten Generation verwendet werden. Er hofft, dass ein solcher "Tresor" im Wallis entstehen wird. "Angesichts der Kompetenzen des Forschungszentrums für die alpine und polare Umwelt (ALPOLE) der EPFL im Wallis erscheint es logisch, dort eine Biobank einzurichten", unterstützt Tom Battin.

Referenzen

Leïla Ezzat, Hannes Peter, Massimo Bourquin, Susheel Bhanu Busi, Grégoire Michoud, Stilianos Fodelianakis, Tyler J. Kohler, Thomas Lamy, Aileen Geers, Paraskevi Pramateftaki, Florian Baier, Ramona Marasco, Daniele Daffonchio, Nicola Deluigi, Paul Wilmes, Michail Styllas, Martina Schön, Matteo Tolosano, Vincent De Staercke und Tom J. Battin, "Diversity and biogeography of the bacterial microbiome in glacier-fed streams," Nature, 1 Januar 2024.

Grégoire Michoud, Hannes Peter, Susheel Bhanu Busi, Massimo Bourquin, Tyler J. Kohler, Aileen Geers, Leïla Ezzat, the Vanishing Glaciers field team, and Tom J. Battin, "Mapping the metagenomic diversity of the multi-kingdom glacier-fed stream microbiome," Nature Microbiology, 2 Januar 2025.