André Holenstein wird 60: Schweizer Geschichte differenziert darstellen

André Holenstein, ordentlicher für ältere Schweizer Geschichte und vergleichende
André Holenstein, ordentlicher für ältere Schweizer Geschichte und vergleichende Regionalgeschichte, Historisches Institut, Universität Bern. © Christine Strub

Marignano, Rütli oder Morgarten - André Holenstein ist bekannt für seine Kritik an einer einseitigen Darstellung der Schweizer Geschichte, die Widerstandsgeist und Unabhängigkeit betont. Der renommierte Historiker zeigt in seiner Forschung auf, dass die Schweiz stärker denn je mit ihrem Umfeld verflochten ist, sei es als Exportnation oder führender Finanzplatz. Dieses Jahr feiert Holenstein seinen 60. Geburtstag: Das Historische Institut würdigt seine Verdienste am 1. November 2019 mit dem Denklabor ‘Mitten in der Debatte’.

Im ’Jubiläumsjahr’ 2015 löste André Holenstein eine öffentliche Diskussion zu Schweizer Geschichte aus: Als die Schlacht am Morgarten, der Rütlischwur oder die Schlacht bei Marignano im Rahmen der Eidgenössischen Wahlen instrumentalisiert wurden, trat der Professor für Schweizer Geschichte bestimmt für eine differenziertere Darstellung der Nationalgeschichte ein. Denn die Schweiz war nie unabhängig - wie gerne dargestellt - sondern stand stets in Beziehung mit ihrem Umfeld: Sei es durch Exporte, Kriege oder aufgrund von Migration. André Holenstein untersucht in seiner Forschung deshalb insbesondere das Phänomen Transnationalität, also wie stark Einheiten mit ihrem Umfeld verflochten sind. Dieser Ansatz ist für die Schweiz fruchtbar, denn die Eidgenossenschaft war in der Vergangenheit genauso mit ihrem geopolitischen Umfeld verknüpft wie sie es auch heute noch ist. Die Verflechtung begründet zudem das hohe Wohlstandsniveau der Schweiz.

Stark verflochtene Schweiz

Die Verflechtung der Schweiz mit ihrem Umfeld wird Anfang November im ’Denklabor’ thematisiert, welches das Historische Institut zu Holensteins 60. Geburtstag durchführt. Im ersten Teil der Veranstaltung verdeutlichen die Historikerinnen und Historiker Barbara Stollberg-Rilinger, Gerd Schwerhoff, Thomas Maissen und Kaspar von Greyerz den Stand der Forschung in den Bereichen Ritualund Policey-Forschung, in der transnationalen Schweizer Geschichte sowie der Religionsgeschichte - alles Bereiche, zu denen André Holenstein wertvolle Beiträge geliefert hat.

Im zweiten Teil der Veranstaltung wird die aktuelle Bedeutung der Schweizer Geschichte in Politik und Gesellschaft in einem Podiumsgespräch diskutiert. Denn 2019 ist die Schweiz kulturell und wirtschaftlich so eng mit Europa und der Welt verflochten wie nie zuvor: So verfügt etwa ein Viertel der ständigen Wohnbevölkerung über keinen Schweizer Pass und mehr als 750’000 Schweizerinnen und Schweizer leben im Ausland. Während Schweizer Geschichte an Schulen und Gymnasien an Bedeutung verliert, wächst in der Bevölkerung das Interesse an der eigenen Vergangenheit - wie dies etwa die hohe Zahl an breitenwirksamen Publikationen zur Schweizer Geschichte in den letzten zehn Jahren belegt. Doch wie soll sich Nationalgeschichte in Zeiten intensiver Migration, ideologischer Abgrenzung von Europa und zunehmend fehlenden Grundkenntnissen in Geschichte im politischen Diskurs positionieren? Auf dem Podium debattieren Spezialistinnen und Spezialisten aus Geschichtswissenschaft, Publizistik und Politik über neue und alte historische Erzählungen sowie über Irrwege und Neuorientierungen in der Schweizer Geschichte

Gerne laden wir Sie ein zum Denklabor ’Mitten in der Debatte’:

Die Flyer zum Programm sowie weitere Informationen finden Sie unter www.hist.unibe.ch/m­itten_in_d­er_debatte

Ordentliche Professur für ältere Schweizer Geschichte und vergleichende Regionalgeschichte

André Holenstein hält seit 2002 die ordentliche Professur für ältere Schweizer Geschichte und vergleichende Regionalgeschichte an der Universität Bern inne. Diese widmet sich der Erforschung und Vermittlung der Geschichte des schweizerischen Raums vom Spätmittelalter bis ins frühe 19.Jahrhundert. Besondere Aufmerksamkeit erfährt die transnationale Betrachtung der Schweizer Geschichte in der ’longue durée’, die die Geschichte des ’Corpus Helveticum’ konsequent in grenzüberschreitende, europäische Zusammenhänge einbettet. In Lehre und Forschung sind die Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur der alten Schweiz thematisch gleichermassen vertreten. Ein besonderes Augenmerk gilt der Persistenz vormoderner Institutionen in jener Republik, die als einzige in Europa die politische Flurbereinigung der Revolution und napoleonischen Zeit überdauerte.