Ein Team der Universität Genf, der HUG und des IRCCS hat Empfehlungen für den effizienten und individuellen Einsatz von Biomarkern zur Diagnose der Alzheimer-Krankheit in Memory-Kliniken erarbeitet.
Eine multidisziplinäre Arbeitsgruppe von 22 Expertinnen und Experten aus elf europäischen wissenschaftlichen Gesellschaften hat sich zusammengeschlossen, um Empfehlungen für den effektiven und individualisierten Einsatz von Biomarkern zur Diagnose der Alzheimer-Krankheit in Memory-Kliniken zu erarbeiten. Die Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt der diagnostischen Überlegungen der Ärzte zu stellen, anstatt die Krankheit oder die Untersuchung, stellt einen Wendepunkt gegenüber den derzeit üblichen Ansätzen dar. Die Arbeit wurde von einem Team der Universität Genf , des Universitätskrankenhauses Genf (HUG) und des Nationalen Forschungszentrums für die Alzheimer-Krankheit Fatebenefratelli in Brescia (IRCCS) koordiniert. Der Konsensus ist in der Zeitschrift The Lancet Neurology zu finden .
Expertinnen und Experten von elf europäischen wissenschaftlichen Gesellschaften und Organisationen sowie einer Patientenorganisation (Alzheimer Europe) haben gemeinsam einen auf den Einzelfall ausgerichteten Diagnosepfad entwickelt, der es ermöglicht, die richtige Untersuchung anhand des Symptomprofils zu identifizieren. Der Pfad ist in Memory-Kliniken leicht anwendbar und ermöglicht eine Diagnose mit hoher Zuverlässigkeit.
Dieser Diagnosepfad wurde auf der Grundlage der wissenschaftlichen Literatur und der praktischen Erfahrung von Fachleuten entwickelt. Nach der Untersuchung der Beschwerden der Person, der Durchführung von Gedächtnistests und einer MRT-Untersuchung des Gehirns kann der Facharzt oder die Fachärztin nun anhand dieser Empfehlungen den Fall einem der elf definierten Phänotypen zuordnen und dann mit den von den internationalen Expertinnen und Experten empfohlenen Untersuchungen nach Biomarkern suchen: Lumbalpunktion, Amyloid-PET, Glukose-PET, Ioflupan-SPECT, MIBG-SPECT und Tau-PET.
Den auf Biomarker konzentrierten Ansatz überwinden
Das Ziel des Diagnosepfads besteht darin, die derzeitigen Grenzen der Empfehlungen und Richtlinien im Zusammenhang mit der Diagnose der Alzheimer-Krankheit zu überwinden. Diese konzentrieren sich hauptsächlich auf die Krankheit selbst oder auf Biomarker und nicht auf die betroffene Person. Obwohl sie entwickelt wurden, um Klinikern und Klinikerinnen bei der Anwendung der richtigen diagnostischen Tests zu helfen, weisen sie bei der Anwendung in der klinischen Praxis Lücken auf. So berücksichtigen die meisten dieser Empfehlungen nicht die zahlreichen verfügbaren diagnostischen Optionen oder die Existenz mehrerer Untersuchungen, die gleichzeitig oder nacheinander durchgeführt werden können. Darüber hinaus spiegeln diejenigen, die dies tun, oft nur die Meinung nicht repräsentativer Fachgruppen wider. Infolgedessen wird die Wahl des Biomarkers in der klinischen Praxis häufig eher von organisatorischen und logistischen Erwägungen als von klinischen Faktoren beeinflusst.
Der von uns entwickelte Diagnosepfad wird Klinikern und Klinikerinnen helfen, den Biomarker mit dem höchsten Informationsgehalt in den Szenarien der häufigsten klinischen Fälle zu bestimmen. Er wird die Einheitlichkeit der Diagnose neurokognitiver Störungen in den europäischen Ländern fördern, die Kosten der Analysen senken und eine genauere Identifizierung der für eine Behandlung in Frage kommenden Personen ermöglichen’, sagt Prof. Giovanni Frisoni, Leiter des Gedächtniszentrums der HUG, Professor für Klinische Neurowissenschaften an der Universität Genf und Erstautor der Studie.
Konsensmethode
Um zu diesem Konsens zu gelangen, verglichen die 22 Expertinnen und Experten den Unterschied in der Wirksamkeit einer Untersuchung im Vergleich zu einer anderen in verschiedenen Situationen nach dem partizipativen Delphi-Ansatz. Bei diesem Verfahren wird die Meinung von Experten zu den untersuchten Merkmalen gemessen, um nur diejenigen Merkmale zu berücksichtigen, die zu mehr als 70% konsensfähig sind und daher als hochwahrscheinlich gelten.
Nächste Schritte
Durch die Zusammenführung der Expertisen wurde ein Referenzstandard geschaffen, der für alle Ärzte in Europa von Nutzen sein wird. Es liegt nun an den nationalen Stellen, den Gesundheitsdienstleistern, den medizinischen Führungskräften und den Versicherungen, ihn in jedem Land umzusetzen.
Was die Studie betrifft, so wird der nächste Schritt darin bestehen, Biomarker aus dem Blut in den Entscheidungsbaum aufzunehmen. Heute sind sie nur in der Forschung verfügbar und befinden sich im Zulassungsverfahren für den klinischen Einsatz. In Zukunft werden sie bis zu 70% der invasiven Untersuchungen wie Lumbalpunktionen und PET vermeiden und so zu Kosteneinsparungen und einer breiteren Diagnostik in der Allgemeinbevölkerung beitragen.
Wendepunkt in der Behandlung von Alzheimer
In den USA wurde das erste Anti-Amyloid-Medikament von der FDA (Food and Drug Administration) im Jahr 2021 und ein zweites im Jahr 2023 zugelassen. Im Jahr 2024 werden solche Medikamente auch in Europa auf den Markt kommen. Die Markteinführung der ersten Medikamente gegen spezifische Formen der Alzheimer-Krankheit erfordert einen konsensfähigen, präzisen und leicht anwendbaren Diagnosepfad. Diese teuren Basistherapien können nur auf der Grundlage immer genauerer Diagnosen verschrieben werden.
Explosion der Alzheimer-Fälle in der Schweiz
In der Schweiz wird die Zahl der Menschen, die an Alzheimer oder einer anderen Form von Demenz leiden, laut der Schweizerischen Alzheimervereinigung bis 2050 voraussichtlich auf 315 400 Personen ansteigen, gegenüber 153 000 im Jahr 2023. Es handelt sich um die häufigste Form von Demenz bei älteren Menschen, obwohl sie auch jüngere Menschen betreffen kann. Zu den Merkmalen der Alzheimer-Krankheit gehören die Bildung von Plaques aus Beta-Amyloid-Proteinen und neurofibrilläre Degeneration im Gehirn, was zum allmählichen Absterben von Gehirnzellen führt. Im Laufe der Zeit schreitet die Krankheit von leichten Vergesslichkeiten zu einer Beeinträchtigung der kognitiven Funktionen des Gedächtnisses und der Fähigkeit, alltägliche Aufgaben zu erledigen, fort. Diese Symptome können leicht mit denen anderer neurokognitiver Störungen verwechselt werden.
15. Feb. 2024