Kann ich mich schlau trainieren?

Wie kann ich meine eigenen kognitiven Fähigkeiten verbessern? Dieser Frage ist die Doktorandin Claudia von Bastian in ihrer Dissertation nachgegangen. Sie hat festgestellt, dass intensives Training die Speicherfähigkeit des Arbeitsgedächtnisses stark erhöht. 

Sich eine Zahl merken und gleichzeitig Gleichungen lösen – Wörter kategorisieren – überlegen, ob einzelne Buchstaben schon ein Wort bilden – diese schwierigen Aufgaben mussten die Probanden von Claudia von Bastian wochenlang jeden Tag dreissig bis vierzig Minuten trainieren. Die Gehirnakrobatik zahlte sich aus: Während ein Untrainierter beim Zahlenmerken lediglich drei bis fünf Ziffern speichern konnte, riefen einzelne Versuchspersonen am Ende des Trainings zehn und mehr Zahlen korrekt ab.

Die Doktorandin Claudia von Bastian hat für ihr Projekt, das vom Forschungskredit der Universität Zürich finanziert wird, ein spezielles Gedächtnistraining entwickelt. Bei der Auswahl der Übungsaufgaben stützt sie sich auf das theoretische Modell des Arbeitsgedächtnisses von UZH-Professor Klaus Oberauer, dem Betreuer ihrer Dissertation. Dabei geht die Forscherin davon aus, dass die Information nicht nur im Gedächtnis gehalten, sondern dort auch verarbeitet wird – Denk- und Arbeitsprozesse finden gleichzeitig statt.

Das Arbeitsgedächtnis umfasst drei verschiedene Facetten: «Speichern und Verarbeiten», also das gleichzeitige Aufrechterhalten und Manipulieren von Informationen (zum Beispiel sich eine Zahl merken und gleichzeitig Gleichungen lösen). «Exekutive Funktionen»: Damit ist die Aktivierung relevanter und die Hemmung irrelevanter Informationen gemeint (zum Beispiel Wörter nach immer wieder wechselnden Regeln kategorisieren); eine weitere Facette ist die «relationale Integration», darunter versteht die Forscherin die Verknüpfung von Informationselementen zur Bildung neuer Strukturen (zum Beispiel beim Überlegen, ob einzeln präsentierte Buchstaben ein Wort ergeben).

Von Bastian hat passende Übungen dazu entwickelt, wie diese drei Bereiche trainiert werden können. Anhand der Ergebnisse möchte sie den folgenden Fragen auf den Grund gehen: Welche dieser Facetten kann man besser trainieren und welche gar nicht? Wo kann man besonders viel herausholen? Besteht ein Transfereffekt, sprich: Wirkt sich das Training auch positiv auf andere kognitive Leistungen wie die Intelligenz aus?

Zuerst führte die Doktorandin mit den Versuchspersonen – darunter ausschliesslich Studierende – verschiedene Tests durch, etwa einen Intelligenztest. Anschliessend absolvierten sie während vier Wochen ein Training am eigenen Computer. Von Bastian unterteilte die Studierenden in drei Gruppen, jede Gruppe trainierte jeweils eine Gedächtnis-Facette.

«Die Probanden haben toll mitgemacht», freut sich von Bastian. «Man darf nicht vergessen, das Training war sehr anstrengend.» Die zu Beginn durchgeführten Tests dauerten bis zu fünf Stunden, das Training selbst zog sich über Wochen dahin und umfasste jeden Tag dreissig bis vierzig Minuten Üben. «Es ist wie beim Sport, auch das Gehirn muss man trainieren wie einen Muskel», sagt von Bastian. Nach diesem Training wurden wieder dieselben Tests wie zu Beginn durchgeführt, um den Trainingseffekt zu messen.

Von Bastian hat die ersten Daten bereits grob analysiert: Die Doktorandin konnte starke Trainingseffekte nachweisen, zum Beispiel im Bereich «Speichern und Verarbeiten». Während sich ein untrainierter Student drei bis fünf Zahlen merken kann, riefen einzelne Versuchspersonen am Ende des Trainings zehn und mehr Zahlen korrekt ab. Solche positiven Trainingseffekte wurden für alle Facetten des Arbeitsgedächtnisses gefunden.

Der Transfer von den trainierten Aufgaben auf andere kognitive Tests war hingegen spezifischer: Während sich das Üben mit Zahlen der Facette «Speichern und Verarbeiten» auch auf die Intelligenz positiv auswirkte, war dies bei «relationaler Integration», beim Üben, ob Buchstaben ein Wort ergeben, nicht der Fall.

Wer im Sport nicht regelmässig trainiert, verliert schnell wieder die Form. Wie steht es mit dem Training kognitiver Fähigkeiten? Zeigt sich der gefundene Effekt auch noch nach einer längeren Ruhephase? Um diese Frage zu beantworten, wird von Bastian mit den Versuchspersonen ein halbes Jahr nach dem Training wieder dieselben Tests durchführen. «Verschiedene Entwicklungen sind vorstellbar»,  meint sie. «Vielleicht braucht man nach dem Training eine Phase, in der sich alles etwas setzen kann, vielleicht verschwinden die Effekte ohne ständiges Üben aber auch wieder.»

Besonders freut die Doktorandin, dass sie ein Trainingsprogramm entwickelt hat, das über die Forschung hinaus allen Interessierten zur Verfügung steht. «Das Programm soll von jedermann zur Verbesserung der Arbeitsgedächtnisleistung genutzt werden können», sagt von Bastian.

Claudia von Bastian schreibt ihre Dissertation im Fach Kognitionspsychologie zum Thema «Kognitives Training». Ihre Doktorarbeit wird vom Forschungskredit gefördert.

Informatiker haben die Software «Tatool» für das Trainingsprogramm entwickelt. Es steht Forschenden als «open source» zur Verfügung. Das Entwicklerteam hofft, dass sich auch andere Programmierer an der Weiterentwicklung beteiligen werden.