Obwohl Flüchtlinge in der Schweiz bereits während des Asylverfahrens eine Stelle antreten dürfen, verschlechtert eine lange Wartezeit ihren Berufseinstieg. Vom SNF unterstützte Forscher konnten diesen negativen Effekt nun zum ersten Mal solide quantifizieren.
Am 5. Juni 2016 befürwortete die Schweizer Stimmbevölkerung beschleunigte Asylverfahren an der Urne. Damals wurde auch argumentiert, die Beschleunigung führe die Flüchtlinge schneller dem Arbeitsmarkt zu und entlaste somit das Sozialsystem. Dass schnell aufgenommene Flüchtlinge tatsächlich eher eine Stelle erhalten, konnten vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützte Forscher nun weltweit zum ersten Mal auch quantitativ zeigen (*).
Dominik Hangartner von der Universität Zürich und der London School of Economics zusammen mit Kollegen Jens Hainmueller und Duncan Lawrence aus dem Stanford-Zurich Immigration Policy Lab analysierten dafür die Daten von Flüchtlingen im Migrationsinformationssystem des Staatssekretariats für Migration (SEM). Darin ist neben der Dauer des Verfahrens auch die Erwerbstätigkeit von vorläufig aufgenommenen Asylsuchenden>’ zum Beispiel die aus dem Kriegsgebiet Syrien geflohenen>’ festgehalten, während fünf Jahren nach der Einreise.
Die Wahrscheinlichkeit eine Stelle zu finden, sank um einen Fünftel von 23 auf 18 Prozentpunkte, wenn die Antragstellerin oder der Antragsteller den positiven Entscheid erst Ende des dritten Jahres anstatt schon Ende des zweiten Jahres erhielten , so Hangartner. Der negative Effekt des Warten-Müssens kann nicht durch andere Faktoren wie Nationalität, Geschlecht und Alter erklärt werden. Die Stärke des Effekts ist beachtenswert. Wir gehen davon aus, dass die Flüchtlinge durch Wartezeit zunehmend entmutigt werden.
Für eine faktengestützte Politik
Mit grosser Sorgfalt stellten die Forschenden sicher, wirklich den Effekt der Verfahrensdauer zu messen. Es hätte sein können, dass dieselben Menschen, die in Befragungen des SEM gut antworten können, sich auch in Bewerbungsgesprächen geschickter verhalten und deshalb auch schneller eine Stelle erhalten. Das kann jedoch ausgeschlossen werden, denn die Verfahrensdauer wird hauptsächlich durch administrative Faktoren bestimmt. Wichtiger noch: In der Schweiz können Asylsuchende innerhalb des Aufnahmeverfahrens nach drei bis sechs Monaten bereits eine Stelle annehmen. Nützten sie diese Möglichkeit, hatte dies keinerlei Einfluss auf die Dauer des Verfahrens, wie Hangartner und seine Kollegen feststellten. Unter den früh Aufgenommenen sind also nicht mehr geschickte Menschen als unter den lange Hingehaltenen.
Das Resultat mögen einige erwartet haben , betont Jens Hainmueller: Doch Vermutungen sind das eine. Zu wissen, wie gross ein Effekt tatsächlich ist und damit die volkswirtschaftlichen Kosten und Nutzen einer Gesetzesänderung berechnen zu können, ist etwas ganz anderes. Eine erste, grobe Berechnung haben die Autoren bereits gemacht: Die Reduktion der Wartezeit um 66 Tage (10 Prozent) würde in der Schweiz eine Einsparung von über 5 Millionen Franken ermöglichen, durch geringe Sozialausgaben und höhere Steuereinnahmen. Im Kern ist es ein wissenschaftlicher Beitrag für empirisch fundierte politische Entscheidungen, auch im Asylbereich: Wenn die Emotionen hoch gehen, können kühle Berechnungen zeigen, was funktioniert und was nicht so Hainmueller.
(*) J. Hainmueller, D. Hangartner and D. Lawrence: When Lives Are Put on Hold: Lengthy Asylum Processes Decrease Employment. Science Advances (2016). DOI: 10.1126/sciadv.1600432 (Für Medienvertreter als PDF-Datei beim SNF erhältlich: com [a] snf (p) ch )