Die Gemeinde Kallnach im Berner Seeland ist reich an archäologischen Hinterlassenschaften, insbesondere aus der römischen Kaiserzeit. Dort, am Rande des Grossen Mooses, verlief unter anderem ein Abschnitt der römischen Fernstrasse, die vom Genfersee über Avenches/Aventicum VD nach Studen/Petinesca bis zum Rhein führte. Seit dem 19.Jahrhundert sind im heutigen Dorfkern mehrere römische Gebäude bekannt, die zu einer grossen Gutshofanlage gehörten.
Es Überraschte wenig, als die Rettungsgrabung des Archäologischen Dienstes am Bergweg in Kallnach 1988/89 Reste eines weiteren Gebäudes zutage brachte. Besonders war jedoch, dass das Gebäude erst am Ende des 3. Jahrhunderts errichtet und bis ins frühe 5.Jahrhundert benutzt worden war, also bis ganz ans Ende der römischen Epoche. Überreste ziviler ländlicher Siedlungen aus dieser Zeit sind trotz jahrzehntelanger Forschungen bisher selten geblieben. Vielerorts wurden diese Siedlungen im 3.Jahrhundert verlassen, und es kam zur Wiederbewaldung der Acker und Weiden. Im Frühmittelalter (6. bis 10./11.Jahrhundert) wurde in den Ruinen des verlassenen Gebäudes von Kallnach ein Gräberfeld angelegt. Die Baureste und die Gräber wurden bereits 2006 vom Archäologischen Dienst publiziert. Die spätantiken Funde wurden konserviert und eingelagert, damit sie dereinst für Untersuchungen zur Verfügung stehen. Auf Initiative des Instituts für Archäologische Wissenschaften der Universität Bern wurden diese nun bearbeitet und die Ergebnisse in Buchform vorgelegt.
Das neue Buch zur Fundstelle Kallnach, Bergweg, zeigt, wie viel Potenzial eine enge Zusammenarbeit in der Archäologie birgt. Auf die Nutzung dieses Potenzials zielt auch die 2019 abgeschlossene Forschungsvereinbarung zwischen dem Archäologischen Dienst und dem Institut für Archäologische Wissenschaften, Abteilung Archäologie der Römischen Provinzen. Sie intensiviert die Kooperation der Institutionen: Während die Universität in erster Linie spezialisierte Forschung ermöglicht, bietet der Archäologische Dienst den Rahmen und mit seinen Felduntersuchungen die Grundlagen für eine praxisorientierte Lehre. Die Funde von Kallnach waren eine ideale Gelegenheit für Studierende, ihr Fachwissen zu erweitern und sich für das spätere Berufsfeld zu vernetzen.
Der Archäologische Dienst arbeitet auch in anderen Bereichen eng mit der Universität Bern und anderen Hochschulen zusammen, so mit der Abteilung Prähistorische Archäologie des Instituts für Archäologische Wissenschaften und mit dem Institut für Rechtsmedizin der Universität Bern, der Pädagogischen Hochschule, der Hochschule für Künste oder der Universitätsbibliothek. Dadurch profitiert er von seinem Standort in einem Universitätskanton und erfüllt das Ziel der Bildungsund Kulturdirektion, verstärkt Partnerschaften mit Dritten einzugehen.
Ungewöhnlich hoher Ausbaustandard
Mit der Veröffentlichung des Fundmaterials lässt sich nun die spannende Geschichte des spätantiken Gebäudes von Kallnach besser nachvollziehen. Mindestens einer der fünf untersuchten Räume war mit bemaltem Wandverputz und verglasten Fenstern versehen - ein ungewöhnlich hoher Ausbaustandard für die Spätantike. Gedeckt war der Bau mit Dachziegeln, die nachweislich die Legio I Martia herstellte, die im 4.Jahrhundert in Kaiseraugst AG an der Rheingrenze stationiert war. Das Gebäude scheint also mit der Unterstützung des Militärs erbaut worden zu sein.Wie eine spezifische Gewandspange, die nur von Beamten getragen werden durfte, annehmen lässt, standen die dort lebenden oder arbeitenden Personen in direktem Kontakt mit der römischen Verwaltung. Sie profitierten auch von deren weitreichenden Beziehungen und konnten sich Wein, Olivenöl, eingelegte Oliven oder Fischsauce aus Spanien, Nordafrika, Palästina, der Türkei oder Sizilien leisten. Die Lebensmittel selbst sind nicht Überliefert, nur deren Transportbehälter, die Amphoren. Anhand weiterer Funde, wie Münzen oder Gefässkeramik, sind auch Handelsbeziehungen ins Rhonetal, in den Alpenraum oder nach Norden an den Rhein nachgewiesen.
Öffentliche Buchpräsentation
- Montag, 30. Mai 2022, 18.15 Uhr, Universität Bern, Institut für Archäologische Wissenschaften, Mittelstrasse 43, Hörsaal 124.
- Mit Christian Hesse, Mitglied des Dekanats der Philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern, und Adriano Boschetti, Leiter Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Kantonsarchäologe.
- Den thematischen Schwerpunkt der Veranstaltung bildet ein Vortrag von Christa Ebnöther, Ordinaria für Archäologie der Römischen Provinzen am Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Bern und Hauptautorin des Buches.