Stefan Metzger: Reiseleiter der Destination «Zukunft»

10.2021 Portrait von Stefan Metzger in Luzern, Schweiz.
10.2021 Portrait von Stefan Metzger in Luzern, Schweiz.

Stefan Metzger hatte eigentlich seinen Traumberuf gefunden: Schiffe zeichnen. Doch dann entdeckte er seine Leidenschaft fürs vernetzte Arbeiten. Das Rüstzeug dafür holte er sich an einer Weiterbildung der Hochschule Luzern. Heute gestaltet er als Chief Digital Officer die nachhaltige Zukunft der Stadt Luzern

«Wir sind die letzten 50 Jahre auf Effizienz getrimmt worden: höher, weiter, schneller. Was wir tatsächlich aber brauchen, ist Effektivität.» Stefan Metzger ist studierter Maschinenbauingenieur und als solcher würde ihm Effizienz eigentlich im Blut liegen. Eigentlich. Heute, als Leiter der Dienstabteilung Digital der Stadt Luzern, denkt er anders darüber. «Die Natur macht nur das, was Sinn macht, ansonsten lässt sie es bleiben. Das sollten wir als Vorbild nehmen.»

Aufgewachsen ist Stefan Metzger (42) am Bodensee. Die Nähe zum Wasser und das Familienhobby Segeln brachten schon früh seinen Traumberuf hervor: Schiffskonstrukteur. Er entschied sich daher für ein Maschinenbaustudium an der Fachhochschule St. Gallen mit der Vertiefungsrichtung Strömungslehre. «Ich wusste, dass es danach schwierig sein würde, in der Schweiz einen entsprechenden Job zu finden», erinnert sich der Romanshorner. «Doch ich hatte Glück.» Nach seinem Abschluss erhielt er die Chance in der Region Luzern in einem kleinen Yachtdesignbüro unter anderem an der Entwicklung eines Fahrgastkatamarans mitzuarbeiten.

Stefan Metzger merkte aber schnell, dass ihm das fundierte betriebswirtschaftliche Wissen fehlte. So absolvierte er während zwei Jahren berufsbegleitend den MAS Business Management & Engineering an der Hochschule Luzern, um ein «gesamtheitlicheres, interdisziplinäreres Bild zu erhalten», wie er sagt. «Ich war froh, konnte ich die Dozierenden jederzeit mit Fragen löchern. Diese gaben mir immer konkrete Antworten und Tipps aus der Praxis mit auf den Weg. Der Wissenstransfer hätte besser nicht sein können.»

Auch «Lowtech» gehört zu Smart City

Während der Weiterbildung entdeckte der Schiffskonstrukteur seine Leidenschaft für interdisziplinäres Denken und Handeln. Eine Leidenschaft, die sich wie ein roter Faden durch Stefan Metzgers weitere berufliche Laufbahn ziehen sollte. «Ich habe mich bewusst gegen eine Spezialisierung entschieden», erzählt er. Stattdessen wurde für ihn die Bandbreite und Reichweite seiner Tätigkeit zunehmend wichtiger. Er fing bei der Post als Projektmanager an. «Hier hatte ich einen viel grösseren Wirkungsraum als bei einem Startup», erläutert Metzger.

Hier sollte er auch mit einem zweiten Thema in Berührung kommen, das ihn bis heute nicht losgelassen hat: Smart City. Nach mehreren Jahren in diesem Bereich bei der Post und danach bei der Swisscom kam im Jahr 2020 nicht nur SARS-CoV-2, sondern für Stefan Metzger ein einmaliges Angebot der Stadt Luzern: Als Chief Digital Officer (CDO) durfte er die neu geschaffene Dienstabteilung Digital samt Team aufbauen. Wie kann sich eine Stadt unter Zuhilfenahme von allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln nachhaltig entwickeln? «Das ist die zentrale Frage von Smart City», erklärt er.

Es gehe darum, mit Technologien Verhaltensweisen in der Bevölkerung zu ändern, um einen effektiveren und vor allem suffizienteren Umgang mit den Ressourcen zu erhalten. Das bedeute aber nicht, dass alles nur noch mit digitalen Lösungen funktionieren müsse: «Die Analyse eines urbanen Mikroklimas zum Beispiel, das kann mit Hightech geschehen. Die Umsetzung aber, das gezielte Schaffen von Grünzonen, erfolgt dann Lowtech.»

«In der Verwaltung geht es darum, die Berührungsängste abzubauen»

«So sehr die Pandemie beschleunigend auf die Digitalisierung einwirkte, so sehr hat sie auch unsere Aufbauarbeit erschwert», resümiert Metzger. «Wir sind bei unserer Tätigkeit auf ein Beziehungsnetzwerk angewiesen, und ein solches entsteht und lebt durch persönliche Kontakte.» Es brauche viel interne Sensibilisierungsarbeit, was die neue Dienstabteilung betreffe. «Unsere Arbeit ist für viele Kolleginnen und Kollegen neu; viele meinen, dass wir eine Art IT-Abteilung wären. Dabei entsteht der Mehrwert gerade in dieser Vermittlerrolle zwischen Technologiefachleuten und Laien.»

Metzgers Team entwickelte für sich daher das Bild des Reiseleiters, um seine Arbeit zu erklären und für sich selbst Identifikation zu schaffen. Der CDO hatte sich in seinen bisherigen Tätigkeiten immer als Übersetzer verstanden. Bei der Luzerner Verwaltung gehe es jetzt aber vorab darum, Berührungsängste mit ganz neuen Arbeitsweisen abzubauen. «Dadurch werden wir zu Begleitern, die nicht nur neue Projekte anstossen, sondern diese auch betreuen und bei Fragen Hand bieten», sagt er.

Er nennt das Beispiel Blockchain. «Alle sprechen davon, dass diese Technologie die Welt verändern wird, auch in der Verwaltung. Für mich heisst das, aufzuzeigen, wo die praktischen Chancen und Grenzen von Blockchain liegen, und nicht die technischen Details zu erklären.» Eine weitere zentrale Aufgabe des Digital-Teams ist es, Synergien sichtbar und somit nutzbar zu machen - sei dies anhand eines betriebsinternen Projektportfolios, um Insellösungen einzelner Abteilungen zu vermeiden, oder durch die Förderung von Innovationen durch die Zusammenarbeit mit Firmen und Hochschulen (siehe ausklappbare Box).

Zu einer nachhaltigen und lebenswerten Stadt gehört auch die Partizipation ihrer Einwohnerinnen und Einwohner. Wie können sie mit den neusten digitalen Technologien in Entscheidungsprozesse miteinbezogen werden? Dieser Frage geht die Hochschule Luzern zusammen mit der Stadt Luzern nach und testet dabei in Forschungsprojekten das Potenzial von Augmented Reality (AR) in der Stadtplanung.

Als Anschauungsbeispiel dient die Visualisierung der Neugestaltung der Bahnhofstrasse und des Theaterplatzes in Luzern. Mit dem Tablet können die geplanten baulichen Interventionen dreidimensional und räumlich betrachtet werden: Auf dem Display der Augmented Reality-Anwendung erscheint die reale Umgebung mit darüber projizierten virtuellen Objekten. Die projektierte zweite Baumreihe, die neue Velostation und die mobilen Sitzgelegenheiten mit Bepflanzung werden so visuell erfahrbar. Nutzerinnen und Nutzer erleben somit vor Ort, wie die Bahnhofstrasse künftig gestaltet und genutzt werden könnte, ohne dass dazu bereits reale bauliche oder sonstige Eingriffe nötig wären.

Eine Übersicht über weitere Projekte und kommende Veranstaltungen rund um Digitalisierungsthemen findet sich auf hslu.ch/digitalisierung.

Die Zukunft eines modularen Luzerns

Wie könnte ein «smartes» Luzern in ein paar Jahrzenten aussehen? Stefan Metzger sieht es so: «Es wird sehr viel modularer sein. Das heisst, die Infrastruktur, beispielsweise Gebäude, wird mehrfach und somit flexibler genutzt werden.» Für ihn ist es essenziell, dass sich Branchen zusammentun und aus ihren «Branchen-» und «Technologiesilos» ausbrechen.

Metzger ist Überzeugt, dass wir unsere Art zu denken, verändern und uns fragen müssten, wie viel wir denn zu leben und arbeiten brauchen. Er führt aus: «Benötige ich zuhause wirklich einen eigenen Arbeitsplatz? Würde es nicht reichen, wenn ich mir mit ein paar Leuten ein sogenanntes near office teile, also ein gemeinsames Büro in der Nachbarschaft?»

Die digital getriebene Sharing Economy beinhalte seiner Meinung nach zwar die Ansätze dazu, dem kollaborativen Aspekt trage sie aber zu wenig Rechnung. «Die Digitalisierung ist der Motor. Das was sie aber wirklich verändert hat und noch verändern wird, sind die Geschäftsund Arbeitsmodelle. Die Technik ist nur ein Hilfsmittel dazu.»

Stefan Metzger (*1979) wuchs in Romanshorn am Bodensee auf. Nach seinem Maschinenbaustudium an der Fachhochschule St. Gallen mit Vertiefung computergestützte Strömungsanalyse arbeitete er zunächst für ein Yachtdesignbüro, bevor er während mehreren Jahren sowohl bei der Post als auch bei Swisscom die Leitung für das Thema Smart City innerhalb des jeweiligen Unternehmens innehatte. Während seiner Zeit als Schiffskonstrukteur absolvierte er den MAS Business Management & Engineering an der Hochschule Luzern. Seit März 2020 steht er der neu geschaffenen Dienstabteilung Digital der Stadt Luzern als Chief Digital Officer vor. Seiner Leidenschaft fürs Element Wasser frönt er heute privat beim Segeln oder Kitesurfen. Er lebt seit 16 Jahren in Luzern.

Autorin: Rahel Perrot Bild: Raisa Durandi Veröffentlicht: 28. Oktober 2021

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