Die Schutzmassnahmen im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie haben - neben Restriktionen für Wirtschaft und Gesellschaft - auch die meisten Forschungsaktivitäten stark beeinträchtigt. Trotz der sich dauernd ändernden Lage konnten die Swiss Skylab Foundation und der Space Hub der Universität Zürich die geplante Parabelflug-Kampagne neu organisieren und die erforderlichen Schutzkonzepte implementieren. Der Schwerelosigkeits-Forschungsflug hebt heute 11. Juni vom ehemaligen Militärflugplatz Dübendorf ab - unter Einhaltung sämtlicher Corona-Schutzmassnahmen.
An Bord des Airbus A310 befinden sich acht Experimente aus den Bereichen Medizin, Astrophysik und Geologie, darunter mehrere der UZH sowie je eines der Universitäten Bern und Basel, der ETH Zürich und des italienischen Eurac Forschungsinstituts. Bei einem Experiment handelt es sich um eine Forschungszusammenarbeit der Universität Zürich und der NASA, an der auch die University of Wisconsin beteiligt ist.
Mit gedämpfter Immunantwort gegen schwere Covid-19-Verläufe
Eines der Experimente, das Oliver Ullrich, Professor für Anatomie an der UZH und Direktor des UZH Space Hubs, und seiner Forschungsgruppenleiterin Cora Thiel durchführen, fokussiert auf Covid-19. ’Bei schweren und teilweise tödlichen Covid-19-Verläufen scheint eine massive und schädliche Überreaktion des Immunsystems beteiligt zu sein, die bei leichten Verläufen nicht zu beobachten ist’, erläutert Thiel.Aus der Raumfahrtmedizin ist bekannt, dass Überreaktionen des Immunsystems in der Schwerelosigkeit abgedämpft werden. Aus ihrer bisherigen Forschung kennen Ullrich und Thiel mögliche molekulare Wege, wie dieser ’gedämpfte’, aber dennoch reaktive Immunstatus, aktiviert wird. Während des Parabelfluges versuchen die beiden mittels verschiedener bereits zugelassener Medikamente diesen aus der Schwerelosigkeit bekannten Immunstatus in menschlichen Zellkulturen herbeizuführen. Im Falle positiver Resultate wären erste klinische Testreihen möglich mit dem Ziel schwere und tödliche Verläufe von Covid-19 zu reduzieren. ’Dadurch liesse sich die gewünschte ’Herdenimmunität’ mit weniger Risiken erreichen’, erklärt Ullrich den neuartigen Ansatz.
Bisher 30 Experimente in der Schwerelosigkeit
Zusammen mit der aktuellen Kampagne wurden in den von Ullrich organisierten Forschungsflügen bislang dreissig Experimente in der Schwerelosigkeit durchgeführt. ’Forschung in Schwerelosigkeit kann Vorgänge aufklären und sichtbar machen, die auf der Erde durch die Schwerkraft verborgen sind und helfen, neue Materialien und Herstellungsverfahren zu erforschen’, erläutert Ullrich, der Mediziner und Biochemiker ist. ’Sie hat der Medizin neue Erkenntnisse, neue Behandlungsmethoden und neue Perspektiven für Geweberegeneration und -ersatz gebracht.’Swiss Parabolic Flights erzielen hohe Wertschöpfung
Dank Ullrichs Parabelflügen gelang es Wissenschaftlern aus der Schweiz, Forschungsgelder auf europäischer Ebene einzuwerben oder Forschungsvorhaben auf der Internationalen Raumstation vorzubereiten. ’Damit erzielen die Swiss Parabolic Flights eine hohe Wertschöpfung und stärken die Wettbewerbsfähigkeit von Forschung und Technologie aus der Schweiz’, sagt Ullrich. Mit dem Swiss Parabolic Flight Programm erhalten Wissenschaft und Innovation in der Schweiz einen einfachen Zugang zur Forschungsumgebung ’Schwerelosigkeit’. Ermöglicht wird dies auch durch die Schweizer Luftwaffe mit der Nutzung des Militärflugplatzes Dübendorfs für die Starts und Landungen des Airbus 310 Zero-G. Durchgeführt werden die Schwerelosigkeits-Forschungsflüge durch Novespace, eine Tochter der französischen Raumfahrtagentur CNES, die Eigentümer und Operator des A310 ZERO-G ist.Europaweit einzigartiges Setting
Überzeugt vom Potenzial in Dübendorf ist auch Peter Bodmer, Mitglied des Universitätsrats und Präsident des Innovationsparks Zürich: ’Der Innovationspark Zürich bietet eine einzigartige Chance: den Zugang zu einem Flugfeld, das Forschungsund Testflüge für die Mobilität in der Luft ermöglicht. So eignet sich der Park auf dem Flugplatzareal von Dübendorf auch für alle Innovationsthemen der Aviatik und der Luftfahrt.’ Dies bestätigt Michael Schaepman, Prorektor Forschung an der UZH: ’Mit der Flugpiste vor der Haustüre haben wir europaweit ein einzigartiges Setting und zeigen mit dem heutigen Parabelflug, dass die UZH und ihr Space Hub im Bereich Luftund Raumfahrt auch in herausfordernden Zeiten verlässliche Partner sind.’Wozu Parabelflüge für die Forschung?
Parabelflüge sind fester Bestandteil jeder Forschung in Schwerelosigkeit. Bei einem Parabelmanöver wird ein Flugzeug in den freien Fall im Gravitationsfeld gebracht, was physikalisch zu echter Schwerelosigkeit an Bord führt - identisch mit der Schwerelosigkeit auf der Internationalen Raumstation (ISS).Auf den extremen Steigflug folgt, dem Kurs einer Wurfparabel folgend, ein kontrollierter Sturzflug - so wird im Airbus A310 ZERO-G für 22 Sekunden Schwerelosigkeit erzeugt. Dank der Schweizer Luftwaffe können die Universität Zürich und der UZH Space Hub den Militärflugplatz schon seit Längerem zu Forschungszwecken mitnutzen: Bereits 2015, 2016 und 2018 organisierten die UZH und die universitätsnahe gemeinnützige Swiss SkyLab Foundation drei Parabelflugkampagnen mit dem Airbus A310 ZERO-G. Die Parabelmanöver finden über dem Mittelmeer oder dem Atlantik statt.
Die vierte Parabelflugkampagne wird durch das Swiss Space Office des SBFI unterstützt.
UZH Space Hub
Das Innovationscluster Luftund Raumfahrt der Universität Zürich (UZH Space Hub) verbindet die international gut vernetzte Forschung in der Luftund Raumfahrt an der UZH mit neuen Partnerschaften aus Wissenschaft und Industrie und bringt sie in den Innovationspark Zürich am Standort Dübendorf ein. Die enge Verbindung von Forschung und Flugplatz ist eine Besonderheit in Europa und ein Plus für die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz.
Experimente an Bord:
Planetenentstehung: Theorie auf dem Prüfstand der Realität
Involvierte Institutionen:
NCCR PlanetS, Universität Bern: Dr. Holly Capelo
Universität Zürich: Prof. Lucio Mayer
Protoplanetare Scheiben bestehen aus Gas und Staub. Durch Schwerkraft und Verklebungen entstehend daraus Planetesimale - die Vorläufer und Bausteine von Planeten: So zumindest besagen es Theorie und Simulationen. Das Experiment überprüft die Theorie erstmals unter den realen Bedingungen der Schwerelosigkeit.
Sedimentbildung auf Erde, Mond und Mars verstehen
Involvierte Institutionen:
Universität Basel, Prof. Niklaus Kuhn
Das Experiment untersucht, wie sich Sedimente unter unterschiedlichen Schwerkraftbedingungen in Wasser absetzen. Im Fokus stehen die Schwerkraftbedingungen von Mars und Mond sowie Hypergravitation. Die Erkenntnisse sind relevant, um die Sedimentationsprozesse auf der Erde verstehen und Aufnahmen von Gesteinsformationen auf dem Mars richtig zu interpretieren.
Wie die Schwerkraft in den Zellkern gelangt
Involvierte Institutionen:
Dr. Srujana Neelam, University of Wiscosin, Dr. Ye Zhang, NASA Kennedy Space Center, FL, 32899, USA, NASA
Universität Zürich: Dr. Cora Thiel, Dr. Liliana Layer, Jessica Hellein, Prof. Oliver Ullrich
Die Schwerkraft wirkt als eine mechanische Kraft auf die inneren und äusseren Strukturen der Zellen. In diesem Experiment werden Wege und Moleküle untersucht, wie die Schwerkraft-Wirkung in den Zellkern gelangt, dort wo die Gene der Zelle reguliert werden. Dies ist im Zusammenhang mit der Schwerelosigkeit auf Raumflügen von Bedeutung.
Herzmassage in der Schwerelosigkeit
Involvierte Institutionen:
Eurac Research, Institute of Mountain Emergency Medicine: Dr. Alessandro Forti
Helios Klinikum Bad Saarow, Olaf Schedler
Unter Schwerelosigkeit bzw. unter Schwerkraftbedingungen wie sie z.B. an Bord der Raumstation ISS herrschen, gestalten sich lebensrettende Herzmassagen bei einem Herzstillstand als anspruchsvoll. Das Experiment testet an einer Übungspuppe ACD-CPR-Instrumente unter Schwerelosigkeit bzw. Schwerkraftbedingungen wie sie auf der Erde, dem Mond und dem Mars herrschen.
Der Code der Schwerkraft
Involvierte Institutionen:
Universität Zürich, Dr. Cora Thiel, Prof. Oliver Ullrich
NASA Kennedy Space Center: Dr. Ye Zhang
Menschliche Zellen passen sich schnell einer veränderten Schwerkraft an. Wie diese Anpassung erfolgt, ist nicht bekannt. Das Experiment untersucht den Zusammenhang zwischen der Schwerkraft und der Regulation der Genfunktion, d.h. welche Moleküle unter veränderter Schwerkraft welche Gene anoder abschalten und inwiefern diese Reaktion durch die geometrische Lage der Gene codiert ist. Das Wissen um diese Faktoren ist essentiell für die bemannte Raumfahrt.
Funktioniert der zelluläre Notfallschutz bei Sauerstoffmangel auch unter veränderten Schwerkraftbedingungen?
Involvierte Institutionen:
Universität Zürich, Prof. Johannes Vogel, Prof. Max Gassmann
Menschliche und tierische Zellen verfügen über einen Notfallschutz, der bei Sauerstoffmangel sofort aktiviert wird. Dabei erweist sich der Transport von als HIF’s bezeichneten Molekülen vom Zellsaft in den Zellkern als zentral. Das Experiment untersucht, ob und wie dieser überlebenswichtige Prozess auf veränderte Schwerkraftbedingungen reagiert. Das zu wissen, ist essentiell für die bemannte Raumfahrt.
COVID-19: Lebensbedrohliche Überreaktionen des Immunsystems unter Kontrolle bringen
Involvierte Institutionen:
Universität Zürich, Dr. Cora Thiel und Oliver Ullrich
Aus der Raumfahrtmedizin ist bekannt, dass ’Überreaktionen’ des Immunsystems in der Schwerelosigkeit abgedämpft sind. Durch ihre bisherige Forschung kennen Ullrich und Thiel bereits mögliche molekulare Wege, wie dieser ’gedämpfte’, aber dennoch immer noch reaktive Immunstatus, angeschaltet aktiviert wird. Auf der 4th Swiss Parabolic Flight Campaign versuchen die beiden mittels verschiedener bereits zugelassener Medikamente diesen aus der Schwerelosigkeit bekannten Immunstatus in menschlichen Zellkulturen ’anzuschalten’. Um festzustellen, dass so ein identischer Effekt erreicht wird, werden molekulare Marker als Ergebnis der Medikamenteneffekte anhand der ’Anschaltung’ durch die Schwerelosigkeit validiert.
Entwicklung eines Lerntools für Studierende
Involvierte Institutionen:
ETH Zürich, Jörg Goldhahn, Dominik Hollinger
Bewegungssensoren funktionieren bei Schwerkraftveränderungen unterschiedlich. Im Experiment werden zwei Studenten mit von der ETH entwickelten Bewegungssensoren, Pulsmessband und Videokamera ausgestattet und führen verschiedene Aufgaben im Parabelflug durch. Die gewonnenen Daten werden für ein Lerntool für Studierende genutzt und soll diese dafür sensibilisieren, dass Sensoren unter verschiedenen Bedingungen unterschiedlich funktionieren können. Das Projekt wurde komplett von Studierenden im Rahmen einer Gruppenarbeit geplant und durchgeführt.