Warum wir mehr über den individuellen CO2-Fussabdruck wissen sollten

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 (Image: Pixabay CC0)
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Um klimapolitische Massnahmen gerecht und mehrheitsfähig zu gestalten, sind Informationen über die Klimabelastung verschiedener Bevölkerungsgruppen unabdingbar, meint Thomas Bernauer.

Die meisten Länder wie auch die Schweiz erheben ihre Treibhausgasemissionen nach Quellen und Sektoren. Absolut machen Schweizer Treibhausgase weniger als ein Prozent der weltweiten Emissionen aus. Mit durchschnittlich 12 Tonnen CO2-Äquivalenten pro Kopf und Jahr belasten Schweizerinnen und Schweizer das Klima etwa doppelt so stark wie im globalen Mittel, wenn wir die Emission unserer Importgüter mitberücksichtigen. Dieser Durchschnittswert ist für internationale Vergleiche interessant, blendet aber Unterschiede zwischen einzelnen Personen oder Personengruppen innerhalb der Schweiz aus.

Thomas Bernauer ist Professor für Politikwissenschaft an der ETH Zürich.

Solche Unterschiede sind jedoch aus politischer Sicht wichtig und auch erklärungsbedürftig. Denn konkrete klimapolitische Massnahmen wie etwa ein Verbot von Ölheizungen oder eine CO2-Steuer auf fossile Brennund Treibstoffe können sich unterschiedlich auf einzelne Personen auswirken, je nachdem wie stark sie das Klima heute belasten. So scheiterte das von Parlament und Bundesrat verabschiedete CO2-Gesetz 2021 mindestens teilweise an der Opposition der ländlichen Bevölkerung, die hohe Kosten befürchtete.

Um Politikmassnahmen so zu gestalten, dass sie diesen Unterschieden Rechnung tragen und letztlich politisch mehrheitsfähig sind, erachte ich verlässliche Schätzungen der Emissionen verschiedener sozialer Schichten und Bevölkerungsgruppen als unabdingbar. In den meisten Ländern sind solche Daten jedoch nicht verfügbar.

Eine Frage des Einkommens und anderer Faktoren

Im Rahmen des Schweizer Umweltpanels (siehe Kasten) hat meine Forschungsgruppe den individuellen Klimafussabdruck in einer repräsentativen Stichprobe von rund 7500 Personen in der Schweiz mittels Befragung und CO2-Rechner geschätzt und Unterschiede in den Bereichen Mobilität, Ernährung, Wohnen und Konsum zu beschreiben und erklären versucht.1, 2

Wie vermutet sind die Unterschiede beim CO2-Fussabdruck gross. Sie reichen von knapp zwei bis zu mehreren Dutzend Tonnen pro Kopf und Jahr. Die weitaus stärkste Ursache ist das Einkommen: Gut verdienende Personen emittieren viel mehr Treibhausgase als solche mit mittleren bis tiefen Einkommen. Das Mobilitätsverhalten, und insbesondere Flugreisen, sind der stärkste Treiber.

Andere Faktoren spielen auch eine Rolle, jedoch in geringerem Ausmass. Interessanterweise wächst der CO2-Ausstoss mit dem Einkommen weniger, wenn Befragte sehr umweltbewusst sind. Frauen und ältere Personen verursachen etwas weniger Emissionen, Personen mit höherer Ausbildung etwas mehr. Weiter bemerkenswert: Die politische Selbsteinstufung auf einer Links-Rechts Skala spielt keine Rolle. Bürgerliche Wähler:innen emittieren also nicht mehr als die Mitte-bis-Links Wählerschaft.

«Die wichtigste Herausforderung für die Klimapolitik liegt darin, Massnahmen so zu gestalten, dass die Kosten und Nutzen in etwa gleichmässig über alle Regionen und fair über die Bevölkerungsgruppen verteilt sind.»


Unsere Erkenntnisse stellen mindestens zwei verbreitete Annahmen in Frage, die in den Debatten zu den beiden Abstimmungen über das CO2-Gesetz (2021) und das Klimaschutzund Innovationsgesetz (2023) prominent vertreten wurden.

Kein Stadt-Land-Graben und Autofahren für alle

Erstens wird die stärkere Skepsis der ländlichen Bevölkerung gegenüber den beiden Klima-Vorlagen oft als Ausdruck eines fundamentalen klimapolitischen Stadt-Land-Grabens gedeutet. Ich halte diese Annahme für fraglich.

Denn die für den Klimaschutz nötigen Verhaltensänderungen sind durchs Band in allen Regionen der Schweiz erheblich. Unsere Daten zeigen zum Beispiel, dass, im Gegensatz zum gängigen Stereotyp, die städtische Bevölkerung nicht weniger wie oft angenommen, sondern sogar etwas mehr CO2 verursacht als die Landbevölkerung: Städter fahren zwar mehr Velo und weniger Auto, sie fliegen aber mehr, während Menschen auf dem Land zwar mehr Auto fahren, aber weniger fliegen.

Der Wohnort als solches hat also kaum einen Einfluss auf den CO2-Fussabdruck und die Kostenfolgen der Klimapolitik. Die teilweise stärkere Opposition auf dem Land beruht meiner Ansicht nach eher auf ideologisch verzerrten Wahrnehmungen der Klimaschutzkosten und nicht darauf, dass die Landbevölkerung weniger umweltfreundlich denkt und handelt (siehe dazu auch diesen Blogbeitrag ).

Zweitens heisst es oft, dass Klimapolitik ärmeren Leuten mehr schadet. Das suggerierte auch die gegnerische Plakatkampagne «Autofahren nur für Reiche?» beim Referendum von 2021. Diese Annahme passt nur schwerlich zu unserem Befund, dass Leute mit hohen Einkommen einen viel grösseren CO2-Fussabdruck aufweisen und damit auch viel stärker von der Klimapolitik betroffen sind.

Unsere Daten zeigen diesbezüglich, dass ein CO2-intensiver Lebensstil nicht unbedingt zu einer stärkeren Ablehnung von klimapolitischen Massnahmen führt, und dass gut Verdienende und Gebildete tendenziell positiver gegenüber Klimaschutz eingestellt sind. Bei ärmeren Personen scheint das Kostenargument hingegen zu verfangen. Das könnte unter anderem daran liegen, dass sie ihren eigenen Klimafussabdruck häufig Überschätzen, während Besserverdienende ihren Klimafussabdruck oft unterschätzen.

Fest steht: Die wichtigste Herausforderung für die Klimapolitik liegt darin, Massnahmen so zu gestalten, dass die Kosten und Nutzen in etwa gleichmässig über alle Regionen und fair über die Bevölkerungsgruppen verteilt sind. Ein tieferes Verständnis der Emissionen verschiedener sozialer Schichten kann helfen, diejenigen Gruppen genauer zu identifizieren, die tatsächlich höhere Kosten tragen. Das wiederum erlaubt es, den Betroffenen gezielt unter die Arme zu greifen, damit sie die Klimapolitik mittragen.
Prof. Thomas Bernauer