«Wer in Singapur forschen will, soll sich jetzt melden!»

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Manu Kapur ist seit Anfang Jahr Direktor des Singapore ETH-Centre (SEC). Im Interview spricht er darüber, welche Forschungsprogramme in Singapur weitergeführt, welche neuen Programme entstehen sollen, und wie sich Forschende aus dem ganzen ETH-Bereich am SEC engagieren können.

Manu Kapur, Sie haben Ihre akademische Laufbahn in Singapur gestartet. Jetzt sind Sie nach acht Jahren in der Schweiz dorthin zurückgekehrt. Was war die grösste Veränderung für Sie?
Klar, es ist ein anderes Singapur als jenes, in dem ich meine Karriere begonnen habe. Doch die Erfahrungen in der Schweiz haben vor allem meinen Blick auf die Wissenschaft verändert. In der Schweiz und speziell an der ETH Zürich sind wir in einer sehr privilegierten Position. Wir haben nicht nur Zugang zu vielen Talenten, sondern geniessen auch viel Vertrauen und Autonmie. Das erlaubt uns, neue Ideen bottom-up zu entwickeln, und zwar schnell. Singapur neigt zu einem kuratorischen Ansatz, der Schwerpunktbereiche definiert, aber genügend Raum für Bottom-up-Ideen zulässt. Beide Ansätze funktionieren, und letztlich empfinde ich es als Privileg, in zwei wunderbaren Städten arbeiten und leben zu können und eine Brücke zwischen Zürich und Singapur zu schlagen.

Was macht der Direktor des ETH-Zentrums Singapur (SEC) genau?
Der Direktor ist der Gesamtverantwortliche des Forschungszentrums und rapportiert an das Governing Board des SEC. Ich arbeite eng mit meiner stellvertretenden Forschungsdirektorin Nicole Wenderoth zusammen, die ihre Erfahrung als Forscherin am SEC einbringt, und mit dem Geschäftsführer Thomas Meyer, der sich um die operativen Belange kümmert. Als Direktor bin ich vor allem für die Strategie, die Programmentwicklung und das externe Stakeholder-Management zuständig. Im Moment geniesst die Entwicklung von Vorschlägen für Forschungsprogramme, die wir zwischen 2026 und 2030 umsetzen möchten, die höchste Priorität. Dies ist von entscheidender Bedeutung, da die Finanzierung all’unserer Programme Ende 2025 weitgehend ausläuft und wir daher neue Ideen für Programme der nächsten Generation brauchen.

Singapore-ETH Centre (SEC)

Das Singapore-ETH Centre wurde im Jahr 2010 von der ETH Zürich und Singapurs National Research Foundation (NRF) gegründet, als Teil des NRF CREATE-Campus. Das Forschungszentrum vereint rund 350 Forschende aus verschiedenen Disziplinen. Sie arbeiten im Rahmen dreier Flagship-Programme - Future Cities Lab Global, Future Resilient Systems und Future Health Technologies - sowie an rund 50 Projekten mit kurzer bis mittlerer Laufzeit, wie Cooling Singapore und Urban Microalgae-Based Protein Production. Die Programme und Projekte werden hauptsächlich von der Nationalen Forschungsstiftung Singapurs (NRF) finanziert und von Forschern der ETH Zürich und anderer Universitäten durchgeführt.

Bisher wurden bestehende Programme weitergeführt. Werden Sie alle Programme in eine neue Runde schicken?
Unser Programm mit der längsten Laufzeit, das Future Cities Lab (FCL), soll verlängert werden. Die Programmleiter Sacha Menz, Arno Schlüter und Thomas Schroepfer sind daran, den vierten Zyklus des FCL zu entwickeln. Die Rückmeldungen des NRF zum Programm Future Health Technologies (FHT) sind ebenfalls positiv. Hier arbeiten Nicole Wenderoth und Benedikt Helgason intensiv an der Version 2.0. Das Programm Future Resilient Systems wird auslaufen, aber Resilienz ist ein so bedeutendes Querschnittsthema, dass es in andere bestehende oder neue Programme einfliessen wird.

Und welche neuen Programme sind geplant?
Wir haben derzeit ein Pilotprogramm zu Nachhaltigkeit und Technologie im Lebensmittelbereich, das von Alexander Mathys geleitet wird. Soeben haben wir die gute Nachricht vom NRF erhalten, dass wir die nächste Version dieses Programms entwickeln sollen. Ein anderes, komplett neues Programm, an dem ich selbst arbeite, dreht sich um Lernen und menschliches Potenzial. Das ist ein Thema, das in Singapur neben der Gesundheit einen sehr hohen Stellenwert geniesst. Schliesslich gibt es ein enormes Interesse an KI in der Wissenschaft. Hier könnten mehrere kleinere Programme zu ausgewählten Themen entstehen, beispielsweise KI in der Arzneimittelforschung, in der Nachhaltigkeit oder in der Klimaforschung, aber auch bei Materialien, Erziehungswissenschaften und vielen weiteren Themen. In diesem Themenbereich stecken viele neue Möglichkeiten.

«Wir wollen eine noch viel breitere Expertise aus der Schweiz nach Singapur bringen.»


Bitte erzählen Sie uns etwas mehr über das Programm, an dem Sie arbeiten.
Es trägt derzeit den Titel Future Embodied Learning Technologies, kurz FELT. Das Programm konzentriert sich auf die Verbindung zwischen dem Verstand und dem Körper beim Lernen. Wir verstehen unter Lernen gewöhnlich, dass wir auf neue Weise denken. Aber Lernen bedeutet auch, sich auf neue Art und Weise zu bewegen. Dies wird dann offensichtlich, wenn wir eine neue Sportart, einen Tanz oder ein Musikinstrument spielen lernen. Geht es jedoch darum, abstrakte Konzepte in den MINT-Bereichen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) oder in den Geisteswissenschaften zu lernen, neigen wir dazu, den Bewegungsteil zu vergessen, wir vergessen den Körper. Mit FELT soll die Verknüpfung von Denken und Bewegung für ein besseres Lernen abstrakter Konzepte genutzt werden. Dabei bringt dieses Programm viele Bereiche zusammen, darunter Informatik, KI, Lernen, Psychologie, Robotik und Neurowissenschaften.

Sie haben Programme mit KI-Bezug angetönt. Gibt es hier Möglichkeiten für Forschende, sich zu engagieren?
Ja, wie ich bereits erwähnt habe, ist KI für die Wissenschaft eine grosse Priorität in Singapur, und wir sind Überzeugt, dass die Nationale KI-Initiative der Schweiz am SEC eine grosse Rolle bei der Einrichtung von Programmen rund um KI für die Wissenschaft spielen kann. Aber es gibt auch in anderen Bereichen die Möglichkeit sich zu engagieren. Wer Interesse hat, an einem Forschungsprogramm am SEC mitzuwirken oder selbst eines als leitende Person aufzubauen, soll sich bei mir melden. Wir freuen uns über neue Ideen und geben unsere Erfahrungen mit dem Aufbau von Programmen in Singapur gerne weiter. Ich möchte betonen, dass dieses Angebot auch für Forschende der EPFL und des ganzen ETH-Bereichs gilt. Denn wir wollen eine noch viel breitere Expertise aus der Schweiz nach Singapur bringen, um die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern zu vertiefen.

Ihr Vorgänger Gisbert Schneider sprach von einer steigenden Bedeutung des SEC in der Wissenschaftsdiplomatie. Ist dieser Ausbauschritt auch in diesem Zusammenhang zu sehen?
Ja, das passt sehr gut zusammen. Wir werden zunehmend nicht nur als ETH-Einrichtung in Singapur betrachtet, sondern als Schweizer Einrichtung. Das bringt mehr Gewicht und natürlich auch mehr Verantwortung mit sich. Die Beziehungen zwischen der Schweiz und Singapur sind in der Tat sehr gut, und eine Zusammenarbeit zwischen dem NRF in Singapur und dem Schweizerischen Nationalfonds wäre sehr erstrebenswert. Sie würde auch erlauben, gemeinsame Finanzierungsprogramme zu entwickeln.

Manu Kapur

Manu Kapur ist Professor für Lernwissenschaften und Hochschulbildung an der ETH Zürich und seit Anfang Jahr zusätzlich Direktor des Singapore ETH-Centre. In Singapur hat der gebürtige Inder einen Bachelor in Mechanical Engineering an der National University of Singapore (NUS) erlangt, sowie seinen Master in Education an der Nanyang Technological University (NUT). Anschliessend ist er nach New York an die Columbia University, wo er erst einen zweiten Master in Applied Statistics absolvierte und dann in Lernwissenschaften promovierte. Seine berufliche Karriere führte ihn zurück nach Singapur, wo er im Bildungsministerium und an der NTU als Professor tätig war. Über eine Professur in Hongkong fand er den Weg nach Zürich, wo er sieben Jahren mit seiner Familie lebte, bevor er nach Singapur zog, um das SEC zu leiten.
Roland Baumann