Dunkle Materie wurde bislang noch nie direkt gemessen. Auch die internationale XENON-Kollaboration, an dem Forschende der Universitäten Bern und Zürich beteiligt sind, fand bisher keinen Hinweis darauf. Ihre Ergebnisse erlauben es aber, eine seit Jahren schwelende wissenschaftliche Kontroverse aufzulösen.
Seit Jahrzehnten wird nach der Dunklen Materie gesucht, einem Hauptbestandteil des Universums. Bislang konnte sie nur indirekt, etwa durch ihre Wechselwirkung mit der Schwerkraft, beobachtet werden. Forschende des DAMA/LIBRA-Experiments behaupten aber, die enigmatischen Teilchen bereits seit 14 Jahren nachweisen zu konnen. Neue Resultate des internationalen Forschungsprojekts XENON widersprechen jedoch diesen Beobachtungen: «Der XENON100-Detektor, den wir verwendet haben, gehort zu den weltweit prazisesten, dennoch war es uns nicht moglich, damit Dunkle Materie nachzuweisen», sagt Marc Schumann vom Berner Albert Einstein Center for Fundamental Physics. Schumann ist Ko-Autor zweier Studien zum Thema, die das Konsortium in den Fachzeitschriften «Science» und «Physical Review Letters» veroffentlicht hat. Im Zentrum der Experimente steht die Annahme, dass sich Dunkle Materie durch Zusammenstosse mit Atomen des Materials, aus dem der Teilchendetektor besteht, bemerkbar machen soll. Zusatzlich sollte die Bewegung der Erde um die Sonne zu einer jahreszeitlichen Schwankung dieses Signals fuhren, wie Ko-Autorin Laura Baudis vom Physik Institut der Universitat Zurich erlautert: «Im Sommer werden mehr, im Winter weniger Ereignisse erwartet.» Das DAMA/LIBRA-Experiment hat mit seinem Natriumiodid-Detektor eine solche Schwankung gemessen. Diese als Dunkle-Materie-Signal zu interpretieren, stehe aber im Widerspruch zu den Ergebnissen anderer Experimente, so Baudis. Um diese Diskrepanz zu erklaren, wurde postuliert, die Dunkle-Materie-Teilchen wurden eventuell nicht wie erwartet mit den Atomkernen, sondern nur mit den Elektronen in der Atomhulle zusammenstossen und dadurch gestreut werden.
Geschutzt durch 1400 Meter Fels
Da DAMA/LIBRA nicht zwischen Streuungen am Atomkern und an den Elektronen unterscheiden kann, haben die Forschenden des XENON-Konsortiums in ihren Daten nach Hinweisen darauf gesucht. Der XENON100-Detektor nutzt als Nachweismedium 62 Kilogramm flussiges Xenon und misst die winzigen Ladungsund Lichtsignale, die bei den seltenen Kollisionen von Dunkle-Materie-Teilchen mit Xenon-Atomen erwartet werden. «Im Gegensatz zu DAMA/LIBRA kann XENON100 zwischen Streuung an Atomkernen und an Elektronen gut unterscheiden», erlautert Marc Schumann. Aufgebaut ist das Experiment im italienischen Gran-Sasso-Untergrund-Labor, wo die storende kosmische Strahlung durch 1400 Meter Fels reduziert wird. Das XENON-Team hat seine Daten zur Streuung durch Elektronen sowie auf jahreszeitliche Schwankungen hin untersucht. Schumann: «Die Suche nach diesen Variationen zeigte keine signifikante Schwankung in den Daten uber Zeitraume von bis zu 500 Tagen - im Widerspruch zu DAMA/LIBRA.» Die XENON-Forschende haben zudem berechnet, wie das DAMA/LIBRA-Signal in ihrem Detektor aussehen wurde, wenn es wirklich von Dunkle-Materie-Teilchen verursacht worden ware. Die Er- gebnisse sind eindeutig, wie Laura Baudis sagt: «Wir haben kein Signal gesehen, nur das erwartete Hintergrundrauschen.» Somit halt keines der untersuchten Modelle der Uberprufung durch XENON100 stand, so das Fazit der Schweizer Forschenden. Folglich lasse sich das DAMA/LIBRA- Ergebnis auch nicht mit Dunkler Materie erklaren, die nur von Elektronen gestreut wird.
«Netz noch nicht engmaschig genug»
Bedeuten die neuen Ergebnisse nun, dass Dunkle Materie am Ende gar nicht existiert? Marc Schumann verneint kategorisch: «Man muss sich Dunkle-Materie-Teilchen wie sehr kleine Fische im Meer vorstellen. Wir wissen, dass sie existieren, unsere Netze sind einfach noch nicht engmaschig genug, um sie einzufangen.» Da XENON100 an der Grenze seiner Sensitivitat angekommen ist, installiert das Konsortium im Moment einen rund 100 Mal empfindlicheren Detektor. Dieses Instrument, XENON1T, werde Ende des Jahres ein komplett neues Kapitel bei der Suche nach Dunkler Materie aufschlagen, so Laura Baudis. Die Forschenden der Universitaten Bern und Zurich sind auch an diesem Experiment beteiligt.
Literatur
Exclusion of Leptophilic Dark Matter Models using XENON100 Electronic Recoil Data
XENON Collaboration, arXiv:1507.07747. Search for Event Rate Modulation in XENON100 Electronic Recoil Data XENON Collaboration, arXiv:1507.07748, Physical Review Letters