Muslime sind in den letzten Jahren zu einer Gefahr für die Schweiz stilisiert worden. Eine Studie hat drei Ursachen dieser Entwicklung ausgemacht: Die Terroranschläge im Ausland, das politische Kalkül rechtspopulistischer Parteien sowie polarisierende und pauschalisierende Medien.
Wie werden Menschen muslimischen Glaubens in der Schweiz wahrgenommen? Dieser Frage sind die Forscher Patrik Ettinger und Kurt Imhof an der Universität Zürich nachgegangen. Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass Migranten muslimischen Glaubens in der öffentlichen Diskussion oft pauschal als Muslime wahrgenommen und - obwohl keineswegs fundamentalistisch - als Bedrohung für die Schweiz dargestellt werden. Dabei stammen sie aus so unterschiedlichen Ländern wie der Türkei, Mazedonien oder Marokko, praktizieren ihre Religion auf verschiedene Weise und sehen sich in erster Linie als Angehörige einer bestimmten ethnischen Gruppe, also als Türken, Mazedonierinnen oder Marokkaner.
Wie ist es zu dieser Pauschalisierung und Problematisierung gekommen? Die beiden Soziologen konzentrierten sich auf die mediale und politische Öffentlichkeit: Sie untersuchten inhaltanalytisch überregionale Tages- und Wochenzeitungen sowie die «Tagesschau» und «10vor10» ab den 1960er Jahren bzw. ab 1998 daraufhin, ob und in welchem Umfang Muslime Gegenstand der Berichterstattung waren. Zusätzlich analysierten sie parlamentarische Vorstösse und Wortmeldungen sowie deren Wiedergabe in den Medien.
Ethnische Merkmale statt Religion
Als Religionsgruppe waren die Muslime lange Zeit kaum ein öffentliches Thema. Breite Resonanz fanden sie in den Medien erstmals 1979 mit der Iranischen Revolution. Allerdings wurde diese aufgrund der Renaissance des Kalten Krieges in der Perspektive des Ost-West-Konflikts gedeutet. Dessen Bedeutung zeigt sich auch daran, dass in der Berichterstattung über den Afghanistankrieg die Religion kaum thematisiert wurde. Noch weniger ein Thema war der Islam innenpolitisch - obwohl ab den 1960er Jahren Arbeitsmigranten aus der Türkei und Jugoslawien in die Schweiz kamen. Die Religionszugehörigkeit dieser Einwanderer spielte keine Rolle. «Das heisst nicht, dass die Einwanderer immer wohlwollend thematisiert worden wären», sagt Patrik Ettinger. Aber Probleme wurden eher auf ethnische Merkmale zurückgeführt als auf die Religion.
Das änderte sich nach den Terroranschlägen vom September 2001 in den USA. «Allerdings differenzierten die Medien vorerst klar zwischen dem islamistischen Terror im Ausland und den als friedfertig und integriert dargestellten Muslimen im Inland», sagt Ettinger. Die Wende kam ab 2004: Mit den Anschlägen in Madrid und London (2005) sowie mit dem Streit um die Mohammed-Karikaturen (2006) etablierte sich in der öffentlichen Kommunikation der ideelle Gehalt der These eines «clash of civilizations» von Samuel P. Huntington.
Die Schaffung einer muslimischen Minderheit
Nun wurde die Wahrnehmung des Islams als Teil internationaler Konflikte und Kriege zunehmend pauschalisierend auf die Muslime in der Schweiz übertragen. Geschürt wurde diese Perspektive vor allem von der SVP, wie die Analyse der Medien ergab. Sie betonte in Inseraten und Plakaten neben der ethnischen immer mehr die religiöse Herkunft muslimischer Migranten - etwa in der Abstimmungskampagne zur erleichterten Einbürgerung von Ausländern der zweiten und dritten Generation 2004. Vertreter der anderen Parteien und die Medien kritisierten die Kampagnen zwar als provokativ und rassistisch. Doch eine inhaltliche Auseinandersetzung fand kaum statt. «Das trug dazu bei, dass in der öffentlichen Kommunikation eine muslimische Minderheit in der Schweiz geschaffen werden konnte», sagt Ettinger.
Im Rahmen der Debatte um die Minarettinitiative nahm die Berichterstattung über diese Minderheit immer pauschalisierendere und negativere Formen an: Die Muslime wurden immer öfter kollektiv als beispielsweise «gewalttätig» oder «unaufgeklärt» beschrieben. 2006 war etwa ein Drittel aller Typisierungen von Muslimen in den untersuchten Medien pauschalisierend und negativ. Bis 2009 stieg dieser Anteil auf rund die Hälfte. Das liege vor allem auch daran, dass Medien extremen, provokanten Positionen mehr Platz einräumten, sagt Ettinger.
Minarettinitiative: Medienpräsenz dank Provokation
Bei der Berichterstattung über die Minarettinitiative zeigte sich dies besonders krass. Obwohl die meisten Parteien gegen die Initiative waren, erhielten sie in den Medien drei Mal weniger Resonanz als die Befürworter mit ihren provozierenden Positionen. «Das liegt auch daran, dass sich die Gegner im Vergleich deutlich weniger engagierten», sagt Ettinger. Als Vertreter der Gegenposition kamen deshalb meist die Muslime selbst zu Wort. Die beiden Wissenschaftler folgern, dass die Medien es nicht geschafft haben, eine differenzierte öffentliche Diskussion über die Vorlage zu vermitteln.