Wir glauben zu wissen, was wir tun, wenn wir sprechen, und dass nur wir sprechen, nicht aber Hunde und Computer. Die Philosophie sieht das anders.
Eine Sprache im emphatischen Sinne haben nur die Menschen ausgebildet. Nur sie verständigen sich auf eine – meist – unendlich komplexe Weise, nur sie können, wenn sie miteinander reden, etwas auf verschiedene Arten sagen, nur in ihren Äusserungen verschränken sich manifeste und latente Sinnebenen. Pflanzen dagegen sind – wahrscheinlich – stumm, Tiere kommunizieren höchstens einfachste Sachverhalte (Gefahr droht! Dort gibts zu fressen), und Maschinen reproduzieren bloss die vom Menschen programmierten Inhalte. Dass ein Wesen spreche, sei ein Beweis dafür, dass es einen Verstand besitze, hat Descartes gesagt. Offensichtlich hat den nur der Mensch.
Was dem Alltagsverstand einleuchtet, ist für die Philosophie alles andere als selbstverständlich. «Warum sollten Maschinen nicht sprechen können?», fragt Katia Saporiti zurück. Die Philosophin führt in ihrem Erkerbüro am Zürichberg Versuchsanordnungen an, in denen Probanden sich in einer – schriftlich geführten – Unterhaltung mit Menschen wähnten, obschon sie mit einem Computerprogramm kommunizierten. Sie bemerkten also den Unterschied zwischen Mensch und Maschine nicht. Wenn man die Sprache mit Descartes als Indiz dafür nehme, dass man es mit einem vernunftbegabten Wesen zu tun habe, dann gewinne die Frage, wer oder was sprechen könne, eine grosse Bedeutung, sagt die Philosophin.
Auch bei den Tieren sind sich die Philosophen nicht so sicher wie die Laien. Katia Saporiti neigt dazu, den Tieren eine den Menschen ergleichbareSprachfähigkeit abzusprechen. Sie führt Donald Davidsons Position an, der zufolge «Überraschung über manche Dinge eine notwendige und hinreichende Bedingung des Denkens überhaupt» sei. Überrascht sei, sagt die Philosophin, wer erkenne, dass sich die Dinge anders verhalten als erwartet; sie bezweifle, dass Tiere in diesem Sinne überrascht seien. Doch manche Philosophen sind sicher, dass auch Tiere über Begriffe verfügen, denken können und damit über eine Voraussetzung des Sprachvermögens verfügen. Ein Beispiel:
Die Katze, die vor einem Hund auf den nächstgelegenen Baum flieht, muss diesen von einem Busch oder einem Laternenpfahl unterscheiden. Vielleicht also hat die Katze einen Begriff von einem Baum.
Das Wahrsein von Sätzen
Eigentlich interessiere sich die Philosophie weniger dafür, ob die Aussage, dass Maschinen, Tiere oder Menschen eine eigene Sprache hätten, wahr oder falsch sei, sagt Katia Saporiti. Vielmehr setze sie sich mit den Begründungen und Konsequenzen unterschiedlicher Positionen auseinander. «Philosophische Sprachtheorien versuchen zu beschreiben, was passiert, wenn Menschen sprachlich miteinander und mit der Welt umgehen.» Im Grunde, sagt die Philosophin, sei nicht einmal klar, was überhaupt Sprache sei und was der Mensch tue, wenn er spreche.
Mit diesen Fragen befasst sich die Sprachphilosophie im engeren Sinn. Sie interessiert sich nicht nur für den Zusammenhang zwischen Sprache und Denken, sondern beispielsweise auch für das Wesen sprachlicher Bedeutung: Haben Worte nur im Kontext eines Satzes und Sätze nur im Kontext ihrer Äusserung eine Bedeutung? Und was bedeutet dies für das Wahrsein von Sätzen oder Äusserungen? Dabei agieren philosophische Sprachtheorien im Spannungsfeld von begrifflicher Analyse und den Ergebnissen aus Linguistik, Psychologie und Biologie.
An der Tramhaltestelle knurrt ein Hund. Sein Herr bringt ihn zum Schweigen. Nun haben sich die beiden nichts mehr zu sagen. Auch das gibt es.
Urs Hafner
Dieser Artikel ist im Schweizer Forschungsmagazin "Horizonte" (Nr. 84, März 2010) erschienen, das vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) herausgegeben wird. Sie können das Magazin gratis abonnieren.