Religionen neigen dazu, sich voneinander abzugrenzen, um ihre Identität zu bewahren und sich zu positionieren. Dabei bedienen sie sich mitunter abwertender Mittel. Wie das im Mittelalter gemacht wurde, wird in einem Forschungsprojekt unterucht. Eine Illustration des 15. Jahrhunderts zeigt, wie sich Christen über Heiden mokieren, die eine kuriose Prozession veranstalten.
Was passiert hier? Eine zehnköpfige Gruppe zieht wohlgeordnet über Land. Die bärtigen Männer schauen meist ernst drein, tragen drei merkwürdige Statuen, einer liest in einem Buch. Die Federzeichnung findet sich in einer spätmittelalterlichen Handschrift aus Süddeutschland zum Leben des heiligen Apollonius.
Die Zeichnung ist nicht einfach zu deuten. «Wahrscheinlich handelt es sich um eine abwertende Darstellung der Nicht-Christen, der Heiden. Ein bekannter Ritus, die Prozession, wird verfremdet, um damit nicht-christliche Religiosität als Abweichung von der Norm des christlichen Glaubens darzustellen. Durch die Abgrenzung vom Fremden wird das Eigene profiliert», sagt die Literaturwissenschaftlerin Susanne Baumgartner. Sie untersucht anhand von Religionsgesprächen, wie sich im Mittelalter Christen mit den Nicht-Christen, insbesondere mit dem Judentum und dem Islam, auseinandersetzen.
Woran merkt man, dass die offensichtlich frommen Männer Heiden sind? Zwar hat der Illustrator auf traditionelle Formen der christlichen Heilsvermittlung (z.B. Buch, Prozession, Gebet) zurückgegriffen. Einzelne Elemente werden jedoch von nicht-christlichen Zeichen überlagert: Die Männer führen nicht etwa Kreuze oder Heiligenstatuen mit, sondern antike Götterfiguren. Die Turbane am rechten Bildrand deuten darauf hin, dass ihre Träger Muslime sind, der Spitzhut ist ein Merkmal der Juden.
Die Anhäufung von Zeichen diverser Religionen deutet einerseits auf die Unsicherheit des Illustrators bei der Darstellung eines heidnischen Kultes hin. Andererseits verweist sie auf das aus christlicher Perspektive religiöse Unverständnis der Heiden. Ihr Gebet ist nichtig, weil sie mit den falschen Mitteln den falschen Gott bzw. die falschen Götter anbeten.
Ins Bild gesetzt ist auch ein traditioneller Streitpunkt zwischen Christentum und Heidentum: die Auslegung des Trinitätsdogmas. Dem Christentum wurde immer wieder vorgeworfen, es besitze nicht einen, sondern drei Götter. Die Illustration reicht den Vorwurf der Vielgötterei an die Heiden zurück: Sie nämlich - so das bildliche Argument - seien es, die das Wesen der höchsten Macht missverstünden, weil sie statt des christlichen dreieinigen Gottes drei verschiedene Götzen (Jupiter, Venus und Mars) verehrten.