Das Verhalten vieler interagierender Quantenteilchen vorherzusagen, ist komplex, aber entscheidend für die praktische Nutzung des Quantencomputings. Eine wissenschaftliche Zusammenarbeit unter der Leitung der EPFL hat eine Methode entwickelt, um Quantenalgorithmen zu vergleichen und die am schwierigsten zu lösenden Quantenprobleme zu identifizieren.
Von subatomaren Teilchen bis hin zu komplexen Molekülen sind Quantensysteme der Schlüssel zum Verständnis der Funktionsweise des Universums. Die Sache hat nur einen Haken: Wenn man versucht, sie zu modellieren, wird ihre Komplexität so groß, dass sie schnell außer Kontrolle gerät. Stellen Sie sich vor, Sie versuchen, das Verhalten einer Menschenmenge vorherzusagen, in der jeder Einzelne die anderen ständig beeinflusst. Wenn Sie diese Personen in Quantenpartikel verwandeln, haben Sie es mit einem "Mehrkörper-Quantenproblem" zu tun.
Mehrkörper-Quantenprobleme sind Bemühungen, das Verhalten einer großen Anzahl von Quantenteilchen, die miteinander interagieren, vorherzusagen. Sie zu lösen, kann erhebliche Fortschritte in Bereichen wie Chemie und Materialwissenschaft ermöglichen und sogar die Entwicklung neuer Technologien wie Quantencomputer anregen.
Aber je mehr Teilchen Sie in die Mischung geben, desto schwieriger wird es, ihr Verhalten zu modellieren, vor allem, wenn Sie nach dem Grundzustand oder dem niedrigsten Energieniveau des Systems suchen. Der Grundzustand sagt den Wissenschaftlern, welche Materialien stabil sein werden und könnte sogar exotische Phasen wie Supraleitung aufdecken.
Für jedes Problem gibt es eine Lösung. Aber welche?
Jahrelang haben sich Wissenschaftler auf eine Reihe von Methoden wie Monte-Carlo-Quantensimulationen und Tensoralnetze (Variationswellenfunktionen) verlassen, um annähernde Lösungen für diese Probleme zu finden. Jede Methode hat ihre Stärken und Schwächen, aber es ist schwer zu sagen, welche Methode für welches Problem am besten funktioniert. Und bislang gab es keine allgemeingültige Möglichkeit, ihre Genauigkeit zu vergleichen.
Eine große Zusammenarbeit von Wissenschaftlern unter der Leitung von Giuseppe Carleo von der EPFL , hat einen neuen Benchmark namens "V-score" entwickelt, um dieses Problem in Angriff zu nehmen. Der V-score ("V" für "Variational Accuracy") bietet eine konsistente Möglichkeit, die Leistung verschiedener Quantenmethoden bei ein und demselben Problem zu vergleichen. Er kann verwendet werden, um die am schwierigsten zu lösenden Quantensysteme zu identifizieren, für die heutige Rechenmethoden wenig geeignet sind und bei denen zukünftige Methoden, wie z. B. Quantencomputer, einen Vorteil bieten könnten.
Diese revolutionäre Methode wurde in der Zeitschrift Science veröffentlicht.
Wie funktioniert der V-Score?
Der V-Score wird mithilfe von zwei Schlüsselinformationen berechnet: der Energie eines Quantensystems und der Größe der Fluktuationen dieser Energie. Je geringer die Energie und die Fluktuationen, desto genauer ist die Lösung im Idealfall. Der V-Score kombiniert diese beiden Faktoren in einer einzigen Zahl und erleichtert es so, die verschiedenen Methoden danach zu ordnen, wie nahe sie der exakten Lösung kommen.
Um den V-Score zu erstellen, stellte das Team den bislang umfangreichsten Datensatz von Mehrkörper-Quantenproblemen zusammen. Es führte Simulationen für eine Reihe von Quantensystemen durch, die von einfachen Teilchenketten bis hin zu komplexen, frustrierten Systemen reichten, die für ihre Schwierigkeit bekannt sind. Der Benchmark zeigte nicht nur, welche Methoden für bestimmte Probleme am besten funktionierten, sondern auch, in welchen Bereichen das Quantencomputing den größten Einfluss haben könnte.
Beim Testen des V-score fanden die Wissenschaftler heraus, dass einige Quantensysteme viel leichter zu lösen sind als andere. Eindimensionale Systeme, wie z. B. Teilchenketten, lassen sich beispielsweise relativ einfach mithilfe bestehender Methoden wie Tensornetzen angehen. Aber komplexere und großdimensionale Systeme, wie frustrierte Quantennetzwerke, haben signifikant höhere V-Scores, was darauf hindeutet, dass diese Probleme mit den heutigen klassischen Rechenmethoden viel schwieriger zu lösen sind.
Die Forscherinnen und Forscher stellten außerdem fest, dass Methoden, die auf neuronalen Netzen und Quantenschaltkreisen beruhen - zwei vielversprechende Techniken für die Zukunft - sogar im Vergleich zu den etablierten Techniken recht gut funktionieren. Das bedeutet, dass wir mit zunehmender Verbesserung der Quantencomputertechnik möglicherweise in der Lage sind, einige der schwierigsten Quantenprobleme zu lösen, die es gibt.
Der V-score bietet Wissenschaftlern ein leistungsstarkes Werkzeug, um den Fortschritt bei der Lösung von Quantenproblemen zu messen, zumal sich die Quanteninformatik weiterentwickelt. Durch die Identifizierung der schwierigsten Probleme und der Grenzen herkömmlicher Methoden könnte der V-score helfen, zukünftige Forschungsanstrengungen zu lenken. Beispielsweise könnten Branchen, die sich auf Quantensimulationen verlassen, wie Pharmazeutika oder Energie, diese Informationen nutzen, um sich mit Problemen zu befassen, bei denen ihnen das Quantencomputing einen Wettbewerbsvorteil verschaffen könnte.
Liste der Mitwirkenden
- Labor für digitale Quantenwissenschaften der EPFL.
- Universität der Sorbonne
- Universität Zürich
- Universität Triest
- Flatiron-Institut
- Institut Vektor
- Goethe-Universität
- College of France
- CNRS und École Polytechnique
- Universität Genf
- Universität von Waterloo
- Toyota-Institut für physikalische und chemische Forschung
- Waseda-Universität
- Sophia-Universität
- Paul Scherrer Institut (PSI)
- Universität Zürich
- IBM Quantum
- Columbia University
- Universität von New York
- Keio Universität
- Universität Paris-Saclay
- Universität von Tokio
- Universität von Kalifornien in Irvine
- École internationale supérieure d’études avancées (SISSA) (Internationale Hochschule für fortgeschrittene Studien)
- Polytechnische Hochschule Turin
- Chinesische Akademie der Wissenschaften
- Max-Planck-Institut
- Chinesische Akademie der Wissenschaften
- William and Mary College
Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF)
Simons-Stiftung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen Union
Japanisches Ministerium für Bildung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technologie (MEXT)
RIKEN Center for Computational Science
Forschungsrat für Naturwissenschaften und Technik (NSERC)
Shared Hierarchical Academic Research Computing Network (SHARCNET)
Compute Kanada
Canadian Institute of Advanced Research (ICRA)
Referenzen
Dian Wu, Riccardo Rossi, Filippo Vicentini, Nikita Astrakhantsev, Federico Becca, Xiaodong Cao, Juan Carrasquilla, Francesco Ferrari, Antoine Georges, Mohamed Hibat-Allah, Masatoshi Imada, Andreas M. Läuchli, Guglielmo Mazzola, Antonio Mezzacapo, Andrew Millis, Javier Robledo Moreno, Titus Neupert, Yusuke Nomura, Jannes Nys, Olivier Parcollet, Rico Pohle, Imelda Romero, Michael Schmid, J. Maxwell Silvester, Sandro Sorella, Luca F. Tocchio, Lei Wang, Steven R. White, Alexander Wietek, Qi Yang, Yiqi Yang, Shiwei Zhang, and Giuseppe Carleo. Variational Benchmarks for Quantum Many-Body Problems. Science 17. Oktober 2024. DOI: 10.1126/science.adg9774