Auf den Spuren der Lausanner Umweltverschmutzung

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Auf den Spuren der Lausanner Umweltverschmutzung

Ein Team von Wissenschaftlern der EPFL, der Universität Lausanne und von Unisanté veröffentlichte einen Bericht über die Umweltverschmutzung durch die Müllverbrennungsanlage im Lausanner Stadtteil Vallon, die von 1958 bis 2005 in Betrieb war.

Ende 2020 wurden Dioxine und Furane in den Böden des Viertels Vallon in Lausanne entdeckt. Fünf Forscherinnen und Forscher - Aurélie Berthet (Unisanté), Florian Breider (ENAC der EPFL), Alexandre Elsig (CDH der EPFL), Céline Mavrot (UNIL) und Fabien Moll-François (CDH der ?EPFL, Unisanté) - beschlossen daraufhin, sich zusammenzuschließen, um die Funktionsweise der Verbrennungsanlage, die Zusammensetzung der Schadstoffe und die Gründe, warum die Verschmutzung erst 15 Jahre nach der Schließung der Anlage entdeckt wurde, besser zu verstehen. Dieses interdisziplinäre Projekt wurde durch das Programm CROSS (Collaborative Research on Science and Society) , das vom Collège des humanités (CDH) der EPFL und der Universität Lausanne (UNIL) mitfinanziert wird, ermöglicht.

Die Geschichte rekonstruieren

"Es ist sehr schwierig zu wissen, was in dieser Verbrennungsanlage passiert ist, wie sich die Emissionen entwickeln und wie die Bevölkerung möglicherweise exponiert ist", erklärt Florian Breider, Umweltchemiker und Leiter des zentralen Umweltlabors der ENAC (Fakultät für natürliche, architektonische und gebaute Umwelt) der EPFL.

Um besser zu verstehen, was passiert ist, hat das Team Nachforschungen angestellt und sich Zugang zu Stadt-, Kantons- und Bundesarchiven, politischen Debatten über die Abfallentsorgung sowie zu zahlreichen technischen Dokumenten verschafft.

So konnten die Forscherinnen und Forscher herausfinden, warum das Viertel Vallon als Standort für die Müllverbrennungsanlage ausgewählt wurde. Ursprünglich war das Viertel La Sallaz ins Auge gefasst worden, doch nach Protesten von Anwohnerinnen und Anwohnern wurde der Standort Vallon ausgewählt. Dafür gab es mehrere Gründe: Es handelte sich um ein beliebtes Viertel, das einige bereits als "heruntergekommen" betrachteten, und da es sich in einem Tal befand, wurde der Schornstein der Verbrennungsanlage weniger sichtbar. Die Geschichte sollte später zeigen, dass die topografische Lage von Le Vallon ein Problem für die optimale Verteilung der Rauchgase darstellte.

Die Forscherinnen und Forscher konnten nicht nur die Funktionsweise der Verbrennungstechnologie nachvollziehen, sondern auch, wie sich die Typologie des verbrannten Abfalls im Laufe der Zeit verändert hat. Die Studie trug dazu bei, das Verschmutzungsmuster von Dioxinen und Furanen in Böden besser zu verstehen.

"Es gibt nicht eine einzige Dioxin- oder Furanverbindung, sondern eine Gruppe von 210 Kongeneren mit unterschiedlichen strukturellen Merkmalen und Toxizitätsniveaus. Vor diesen Forschungsarbeiten war dieses historische Verschmutzungsprofil nicht bekannt", sagt Aurélie Berthet, Toxikologin bei Unisanté.

"In den Archiven fanden wir Informationen über die Art und Menge der verbrannten Abfälle sowie technische Spezifikationen zur Verbrennungstemperatur und zu den Filtersystemen für die Verbrennungsgase, die nacheinander installiert wurden", erklärt Fabien Moll-François, Wissenschaftshistoriker und -soziologe am CDH der EPFL und bei Unisanté. Anhand dieser Quellen fanden die Forscherinnen und Forscher beispielsweise heraus, wie viel Papier und Grünabfälle verbrannt wurden, und konnten die chemische Zusammensetzung des Abfalls sowie dessen Auswirkungen auf die Umwelt beurteilen.

Zwei Studenten des Masterstudiengangs Umwelttechnik an der ENAC, Alexis de Aragao und Xiaocheng Zhang, waren im Rahmen ihrer Designprojekte ebenfalls an der Forschungsarbeit beteiligt. Anhand der gesammelten Daten und der vom CROSS-Team gemachten Notizen fanden sie heraus, dass die Verbrennungsanlage lange Zeit über ihre Kapazitäten hinaus genutzt worden war. In den frühen 1970er Jahren betrug die Masse der nach der Verbrennung verbleibenden Rückstände manchmal mehr als 50% der gesamten verbrannten Masse - eine wichtige Information aus umwelt- und sozialhistorischer Sicht.

Die Studie weist auf Governance-Probleme hin, wie z. B. die Aufgabe eines anderen Verbrennungsprojekts, mit dem die Überlastung der Verbrennungsanlage in Le Vallon hätte begrenzt werden können. In den 1980er Jahren wurde das Management der Verbrennungsanlage aufgrund der Beziehungen zwischen Stadt, Kanton und Bund immer komplexer. Trotz mehrerer Warnungen vor Schwermetallen ab den 1970er Jahren und vor Dioxinen in den 1990er Jahren wurde die Verbrennungsanlage nicht innerhalb der regulären, gesetzlich vorgeschriebenen Fristen auf den neuesten Stand gebracht.

"Der Kanton verfügt über wichtige Befugnisse in den Bereichen Planung, Abfallmanagement und Überwachung der Umweltverschmutzung, was ihn tendenziell in die Position eines Richters und einer Partei bringt", bemerkt Céline Mavrot, Politikwissenschaftlerin an der Universität Lausanne.

Ein interdisziplinärer Ansatz

Dank der verschiedenen Profile konnte das Team das Fachwissen jedes Einzelnen kombinieren, um eine interdisziplinäre Arbeit zu erstellen, bei der die spezifischen Werkzeuge und Methoden der jeweiligen Forschungsbereiche zum Einsatz kamen: Wissenschafts- und Umweltgeschichte,Öffentliche Gesundheit, Politikwissenschaften und Umweltchemie.

"Es ist ziemlich selten, dass Disziplinen so Hand in Hand arbeiten und von Anfang an zusammenarbeiten", sagt Alexandre Elsig, Historiker an der EPFL. Normalerweise werden Forschungen nacheinander durchgeführt, während wir hier den gesamten Prozess im Team durchgeführt haben. Dadurch konnten die Archivdaten in die Arbeit der Umweltchemie integriert werden, und das gesamte Wissen der Umweltchemie konnte auch die Archivarbeit leiten."

Durch die Zusammenführung der verschiedenen Disziplinen und die Zusammenarbeit konnte das Team viele wichtige Fragen beantworten und einen Ansatz entwickeln, der sich auch auf andere Fälle anwenden lässt.

Auf lokale Probleme eingehen

"Da die CROSS-Projekte von der EPFL und der Universität Lausanne mitfinanziert werden, bedeutet dies, dass wir lokale Probleme angehen können", gesteht Florian Breider. Wir haben erwogen, einen Antrag auf Finanzierung durch den SNF zu stellen, aber diese Art der Finanzierung ist normalerweise nicht auf lokale Themen ausgerichtet. CROSS war daher ein ideales Finanzierungsinstrument für diese Art von Projekt, und ich weiß nicht, wie wir es ohne CROSS hätten durchführen können."

Nach ersten Gesprächen mit Anwohnerinnen und Anwohnern, um die Problematik zu definieren, kehrte das Team am 27. März zurück, um die Ergebnisse vor rund 100 Personen zu präsentieren, die in den am stärksten verschmutzten Gebieten wohnen. Das Publikum zeigte sich sehr interessiert. Es teilte seine Erfahrungen mit und stellte Fragen, z. B. ob andere Schadstoffe als Dioxine in den Böden vorhanden sein könnten und wie lange es dauern würde, bis die Schadstoffe aus den Böden verschwinden. Es wurden auch Fragen zur Organisation der Verschmutzungskontrolle und zu den Gründen gestellt, warum die Dioxinverseuchung so spät entdeckt wurde. Das Team konnte diese Fragen beantworten und gleichzeitig wertvolle Informationen über die früheren Belastungen der Bewohnerinnen und Bewohner sammeln.

In Zukunft werden das Team und die beiden ENAC-Studenten einen wissenschaftlichen Artikel über das von ihnen entwickelte mathematische Modell zur Bewertung vergangener Dioxin- und Furanemissionen aus Müllverbrennungsanlagen einreichen. Florian Breider wird seine Arbeit auch auf einer internationalen Konferenz in Taiwan über Mikroschadstoffe und Umweltrisiken vorstellen. Die Forscher würden auch gerne ihre Forschung über den Zeitraum 2006-2020 fortsetzen, was sie jedoch aufgrund einer sechsmonatigen Verzögerung beim Zugang zu bestimmten Archiven nicht tun konnten.