Neue Berechnung zur Vorhersage der Fusionsenergie

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Neue Berechnung zur Vorhersage der Fusionsenergie

Im Rahmen einer groß angelegten europäischen Zusammenarbeit haben Physikerinnen und Physiker der EPFL eines der Grundgesetze revidiert, die seit über drei Jahrzehnten die Plasma- und Fusionsforschung antreiben und sogar die Konzeption von Großprojekten wie ITER bestimmen. Die Revision zeigt, dass man in Fusionsreaktoren sicher eine größere Menge Wasserstoff verwenden und damit mehr Energie gewinnen kann, als bisher angenommen wurde.

Die Kernfusion ist eine der vielversprechendsten Energiequellen der Zukunft. Bei der Fusion verbinden sich zwei Atomkerne zu einem einzigen, wodurch große Mengen an Energie freigesetzt werden. Die Wärme der Sonne entsteht durch die Verschmelzung von Wasserstoffkernen zu schwereren Heliumatomen.

Derzeit läuft ein großes internationales Fusionsforschungsprojekt namens ITER. Es zielt darauf ab, die Fusionsprozesse in der Sonne nachzubilden, um auf der Erde Energie zu erzeugen. Sein Ziel ist die Schaffung eines Hochtemperaturplasmas, das die ideale Umgebung für die Fusion und die Energieerzeugung bietet.

Plasmen - ein gasähnlicher, ionisierter Zustand von Materie - bestehen aus positiv geladenen Kernen und negativ geladenen Elektronen. Sie sind fast eine Million Mal weniger dicht als die Luft, die wir einatmen. Plasmen werden erzeugt, indem der "Fusionsbrennstoff" - Wasserstoffatome - extrem hohen Temperaturen ausgesetzt wird (dem Zehnfachen der Kerntemperatur der Sonne), wodurch die Elektronen gezwungen werden, sich von ihren Atomkernen zu trennen. Dieser Prozess findet in einer ringförmigen ("toroidalen") Struktur statt, die "Tokamak" genannt wird.

Paolo Ricci vom Swiss Plasma Center (EPFL), einem der weltweit führenden Fusionsforschungsinstitute, erklärt: "Um ein Plasma für die Fusion zu erzeugen, müssen drei Faktoren berücksichtigt werden: hohe Temperatur, hohe Wasserstoffdichte und gutes Containment".

Im Rahmen einer großen europäischen Zusammenarbeit hat das Team von Paolo Ricci gerade eine Studie veröffentlicht, die ein grundlegendes Prinzip der Plasmaerzeugung revidiert und zeigt, dass der zukünftige Tokamak ITER mit doppelt so viel Wasserstoff betrieben werden kann und somit mehr Fusionsenergie erzeugt als bisher angenommen.

"Eine der Grenzen der Plasmaerzeugung in einem Tokamak ist die Menge an Wasserstoff, die man in den Tokamak einspeisen kann", sagt Paolo Ricci. "Seit den Anfängen der Fusion ist bekannt, dass es irgendwann zu einer "Störung" kommt, wenn man versucht, die Brennstoffdichte zu erhöhen. Im Grunde verliert man das Containment vollständig und das Plasma geht irgendwohin. In den 1980er Jahren hat man versucht, eine Art Gesetz zu finden, mit dem man die maximale Wasserstoffdichte, die man in einen Tokamak packen kann, vorhersagen kann."

Die Antwort kam 1988, als der Fusionsforscher Martin Greenwald ein berühmtes Gesetz veröffentlichte, das eine Korrelation zwischen der Brennstoffdichte, dem Minor Radius des Tokamaks (dem Radius des inneren Kreises des Rings) und dem Strom, der im Plasma innerhalb des Tokamaks fließt, herstellte. Von daher ist die "Greenwald-Grenze" ein grundlegendes Prinzip der Fusionsforschung. Die Strategie für den Bau des ITER-Tokamaks beruht auf diesem Prinzip.

"Martin Greenwald stellte das Gesetz empirisch auf, d. h. vollständig aus experimentellen Daten, und nicht aus einer geprüften Theorie oder aus dem, was wir als erste Prinzipien bezeichnen würden", erklärt Paolo Ricci. "Dennoch hat die Grenze für die Forschung ziemlich gut funktioniert. Und in einigen Fällen, wie bei DEMO (dem Nachfolger von ITER), stellt diese Gleichung eine wichtige Grenze für ihren Betrieb dar, da sie besagt, dass man die Brennstoffdichte nicht über einen bestimmten Grenzwert hinaus erhöhen kann."

In Zusammenarbeit mit Teams aus anderen Tokamaks hat das Swiss Plasma Center ein Experiment entwickelt, bei dem eine hochentwickelte Technologie eingesetzt werden kann, um die Menge des in einen Tokamak eingespeisten Brennstoffs genau zu kontrollieren. Die massiven Experimente wurden in den größten Tokamaks der Welt durchgeführt, dem Joint European Torus (JET) in Großbritannien, dem ASDEX Upgrade in Deutschland (Max-Planck-Institut) und dem TCV-Tokamak an der EPFL. Dieser umfangreiche experimentelle Aufwand wurde durch das EUROfusion Consortium ermöglicht, die europäische Organisation, die die Fusionsforschung in Europa koordiniert und an der die EPFL nun über das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Deutschland beteiligt ist.

Parallel dazu begann Maurizio Giacomin, Doktorand im Team von Paolo Ricci, mit der Analyse der physikalischen Prozesse, die die Dichte in Tokamaks begrenzen, um ein grundlegendes Gesetz aufzustellen, das die Brennstoffdichte mit der Tokamakgröße korrelieren kann. Ein Teil dieser Arbeit bestand darin, eine fortgeschrittene Simulation des Plasmas zu verwenden, die mithilfe eines Computermodells durchgeführt wurde.

"Die Simulationen nutzen einige der größten Computer der Welt, wie sie vom CSCS, dem Schweizerischen Nationalen Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen, und von EUROfusion zur Verfügung gestellt werden", fährt Paolo Ricci fort. "Anhand unserer Simulationen haben wir festgestellt, dass sich mit der Zugabe von Brennstoff in das Plasma Teile des Plasmas von der äußeren kalten Schicht des Tokamaks - also am Rand - in Richtung des Kerns bewegen, da das Plasma turbulenter wird. Zweitens: Im Gegensatz zu einem elektrischen Kupferdraht, der beim Erhitzen stärker wird, werden Plasmen beim Abkühlen stärker. Je mehr Brennstoff man also bei gleicher Temperatur hineingibt, desto mehr kühlen einige seiner Teile ab - und desto schwieriger wird es für den Strom, durch das Plasma zu fließen, was zu einer Störung führen kann".

Es war schwierig, dies zu simulieren. "Die Turbulenz in einer Flüssigkeit ist die wichtigste unbeantwortete Frage der klassischen Physik", sagt Paolo Ricci. "Aber die Turbulenz in einem Plasma ist noch komplizierter, weil es dort auch elektromagnetische Felder gibt."

Schließlich gelang es Paolo Ricci und seinen Kollegen, den Code zu entschlüsseln, und sie schrieben alles auf Papier, um daraus eine neue Gleichung für die Brennstoffgrenze in einem Tokamak abzuleiten, die sehr gut mit den Experimenten übereinstimmt. Veröffentlicht in Physical Review Letters, gibt sie dem Greenwald-Limit seinen richtigen Wert zurück, indem sie sich ihm annähert, es aber deutlich aktualisiert.

Nach der neuen Gleichung kann die Greenwald-Grenze in Bezug auf den Brennstoff in ITER fast um das Doppelte erhöht werden. Mit anderen Worten: Tokamaks wie ITER können tatsächlich fast die doppelte Menge an Brennstoff zur Erzeugung von Plasmen verwenden, ohne Störungen befürchten zu müssen. "Dieses Ergebnis ist wichtig, weil es zeigt, dass die Dichte, die man in einem Tokamak erreichen kann, mit der Leistung steigt, die man braucht, um ihn zu betreiben", sagt Paolo Ricci. "DEMO wird mit einer deutlich höheren Leistung betrieben werden als die derzeitigen Tokamaks und ITER, was bedeutet, dass man entgegen dem Greenwald’schen Gesetz eine höhere Brennstoffdichte hinzufügen kann, ohne die Produktion einzuschränken. Und das ist eine sehr gute Nachricht".

Liste der Mitwirkenden

  • Swiss Plasma Center der EPFL
  • Max-Planck-Institut für Plasmaphysik
  • TCV-Team der EPFL
  • Team ASDEX Upgrade
  • JET-Beitragende

Referenzen

M. Giacomin, A. Pau, P. Ricci, O. Sauter, T. Eich, das ASDEX Upgrade Team, JET Contributors, und das TCV Team. First-Principles Density Limit Scaling in Tokamaks Based on Edge Turbulent Transport and Implications for ITER. Physical Review Letters 128, 185003. DOI: 10.1103/PhysRevLett.128.185003