Totgesagte leben länger

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Totgesagte leben länger

Mumien sind nicht nur von historischem Interesse. Sie geben auch Aufschluss über die Evolution menschlicher Infektionskrankheiten.

Eine späte Diagnose: Rund 3500 Jahre nach seinem Tod haben Röntgen- und DNA-Analysen ergeben, dass Tutanchamun an Malaria tropica und einer Knochenkrankheit litt. Zu diesem medizinischen Befund passen seine Grabbeigaben – Gehstöcke und Medikamente für das Leben nach dem Tod. Aber nicht nur Malaria tropica, auch Tuberkulose war im alten Ägypten weit verbreitet. Der zur Gattung der Mykobakterien gehörende Tuberkuloseerreger wurde in mehr als einem Fünftel der in Abydos und Theben-West gefundenen Mumien nachgewiesen.

Moderne Diagnoseverfahren erlauben es heute, den Überresten längst verstorbener Menschen Informationen über ihre Leiden zu entlocken. Vergleiche zwischen Mumien aus verschiedenen Epochen und Weltregionen geben Aufschluss über die Entwicklung und Verbreitung  von Krankheiten.
    

Als Mumien gelten der medizinischen Forschung nicht nur die kunstvoll einbalsamierten Körper der Pharaonen oder der Inkas des präkolumbianischen Südamerikas. Jeder tote Leib aus vergangenen Zeiten, bei dem ausser dem Skelett auch die Weichteile  erhalten sind, wird als Mumie bezeichnet. Die Weichteile können dabei auch durch aussergewöhnliche natürliche Bedingungen, wie sie im Eis eines Gletschers, im heissen Wüstensand oder in den Tiefen eines Moors herrschen, erhalten werden. Für die medizinische Untersuchung von Mumien kommen gleiche Methoden zum Einsatz wie an lebenden Patienten: Röntgenaufnahmen, Computertomografie, Endoskopie und die mikroskopische Untersuchung von Gewebeproben. Besonders aufschlussreich sind genetische Analysen. Sie machen es nicht nur möglich, Verwandtschaftsbeziehungen zwischen verschiedenen Mumien nachzuweisen. Sie erlauben es auch, Krankheitserreger anhand charakteristischer DNA-Sequenzen zu erkennen. «Genetische Analysen sind an Mumien anspruchsvoller als an lebenden Patienten», betont Frank Rühli, Arzt und Forscher am Anatomischen Institut der Universität Zürich. «Denn die DNA eines toten Organismus zerfällt im Lauf der Zeit in kürzere Fragmente. Antike Genabschnitte korrekt zu identifizieren erfordert ausgefeilte Techniken und grösste Sorgfalt.»

Tuberkulose gabs in Amerika schon vor Kolumbus

Vergleichsweise gut lässt sich die DNA des Tuberkuloseerregers nachweisen. Sie ist aufgrund ihrer Zusammensetzung besonders stabil und zudem durch die dicken, fettreichen Zellwände der Mykobakterien geschützt. Tuberkulosebakterien fand man nicht nur in den sterblichen Überresten der alten Ägypter und Römer. Auch in Mumien aus dem präkolumbianischen Chile und Peru wurden sie nachgewiesen. Dieser Befund widerlegte die alte Theorie, die europäischen Eroberer hätten die Tuberkulose in die Neue Welt eingeschleppt. Über den einfachen Nachweis des Krankheitserregers hinaus zielt die moderne Forschung nun darauf ab, das Genom antiker Tuberkelbakterien zu entschlüsseln. Vergleiche mit den Genomen späterer Bakteriengenerationen können dann aufzeigen, wie sich der Erreger im Verlauf der Jahrhunderte verändert hat. «Solche Informationen können der modernen Medizin helfen, die Entwicklung von Krankheitserregern und deren Wechselwirkungen mit dem Menschen über lange Zeitabschnitte zu verfolgen», betont Rühli. «Und dies kann helfen, auch moderne Epidemien besser zu verstehen und geeignete Therapiestrategien zu entwickeln.»

 

 

Vivianne Otto

 

Dieser Artikel ist im Schweizer Forschungsmagazin "Horizonte" Nr. 86 erschienen, das vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) herausgegeben wird. Sie können das Magazin gratis abonnieren.

CW