Was haben Bibliotheken mit Nachhaltigkeit zu tun? Die Universitätsbibliothek Basel setzt sich dafür ein, dass wissenschaftliche Artikel für alle frei zugänglich sind. Und sie unterstützt Forschende dabei, Daten langfristig für die Allgemeinheit verfügbar zu machen.
An einem sonnigen Nachmittag im April platziert die Stadtgärtnerei in grossen Töpfen einige Birken und Ahorne auf dem Vorplatz der Universitätsbibliothek. Wenige Tage später werden Sitzgelegenheiten und Liegestühle hinzukommen, so dass Studierende und Angestellte im Sommer draussen etwas Schatten finden.
Die Direktorin der Universitätsbibliothek Basel, Dr. Alice Keller, freut sich über diese Begrünung. Für sie sind es jedoch weder die paar Bäume noch die Recyclingstationen im Inneren oder die notwendige Verbesserung der Isolierung des Gebäudes, welche den Kern der Nachhaltigkeit einer Bibliothek ausmachen. ’Unsere Tätigkeit, das Ausleihen von Büchern, ist ja per se nachhaltig’, sagt sie. Die Bibliothek sei eine Art Vorläufer für die Kreislaufwirtschaft, die derzeit in aller Munde ist. Hinzu kommt der öffentliche Charakter: ’Es ist wesentlich nachhaltiger, wenn im Winter 1000 Studierende bei uns vor Ort in der Wärme lernen, als wenn alle zuhause ihre Heizungen hochdrehen, damit es zum Lernen genügend warm ist.’
Perspektivenwechsel nach innen
Die grosse Frage für Keller ist jedoch, was eine Universitätsbibliothek über diese Kernaufgaben hinaus zur nachhaltigen Transformation der Gesellschaft - oder den ’Quantensprung’, wie Keller es nennt - beitragen kann. ’Dafür braucht es einen Perspektivenwechsel: von aussen nach innen. Wir müssen uns vermehrt fragen, was braucht die Gesellschaft heute von einer wissenschaftlichen Bibliothek?’
Und hier sieht sich Keller vor allem den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) verpflichtet. Ziel 4 lautet: Eine inklusive, gerechte und qualitative Bildung sowie die Förderung von Möglichkeiten für lebenslanges Lernen für alle. ’Den grössten Beitrag, den wir als Bibliothek dazu leisten können, ist die Zugänglichkeit zu qualitativem Wissen zu erleichtern.’ Dies sei zugleich ein Beitrag gegen grassierende Fake News und für eine lebendige Demokratie.
Seit mehreren Jahren setzt sich Keller deshalb gemeinsam mit anderen Bibliotheken in der Schweiz dafür ein, dass mehr wissenschaftliche Texte ’Open Access’, also für alle kostenlos zugänglich sind. Der Zugriff zu einem Artikel in einer angesehenen wissenschaftlichen Zeitschrift kann bis zu 50 Franken kosten. Universitätsbibliotheken in der Schweiz haben jährlich Millionen dafür bezahlt, damit die Universitätsangehörigen freien Zugriff auf solche Artikel haben. Dies, obschon die publizierte Forschung meist mit öffentlichen Geldern finanziert wurde.
Transformation angestrebt
Ziel von Keller und ihren Kolleginnen und Kollegen ist langfristig die kostenneutrale Transformation von einem Pay-to-Readhin zu einem Pay-to-Publish-Modell. Anstatt dass die Hochschulen Gebühren an Zeitschriften bezahlen, damit ihre Forschenden die dort publizierten Artikel lesen dürfen, bezahlen sie dafür, dass die Arbeit ihrer Forschenden in der Zeitschrift publiziert wird. Danach steht diese allen Interessierten frei zur Verfügung - unter Berücksichtigung der Urheberrechte. Der Weg dorthin ist jedoch meist lange und geht in der Regel über Verträge für hybride Publikationsmodelle.
’Das führt zu einem grundsätzlichen Identitätswandel von Bibliotheken’, sagt Keller. ’Wir werden von Einkäufern von Publikationen zu Beratern der Forschenden.’ Die Beratung geht über die eigentliche Publikation hinaus, denn diese ist nur ein Glied im gesamten Forschungsprozess, in dem sehr viele Daten anfallen, die langfristig verfügbar sein müssen. Zum Beispiel Pollenflugdaten in der Biologie, Messreihen in der Epidemiologie, digitalisierte Quellen oder transkribierte Interviews in den Sozialwissenschaften. Kellers Team unterstützt deshalb gemeinsam mit dem Vizerektorat Forschung Mitarbeitende beim Datenmanagement für ihre Forschung.
Verhandeln für die Big Deals
Keller ist auch Mitglied in der Verhandlungsdelegation von ’swissuniversities’, die im Auftrag aller Schweizer Hochschulen mit den drei grössten Wissenschaftsverlagen Lizenzen für den Zugriff auf digitale Zeitschriften verhandelt. Heute fallen die Hälfte der Lizenzausgaben der UB auf die Zeitschriften der Verlage Springer Nature, Elsevier und Wiley. In sogenannten Big-Deals-Verhandlungen wird der Zugang zu Tausenden von wissenschaftlichen Zeitschriften geklärt. Ziel der laufenden Verträge ist es, dass die Gebühren gleichzeitig das Lesen und das Publizieren abdecken. So würden alle Publikationen von Forschenden an Schweizer Hochschulen Open Access und für alle zugänglich. Aktuell verhandelt die Delegation mit Elsevier einen ambitionierten Fünfjahresvertrag aus.
Einen Haken gibt es jedoch auch beim Pay-to-Publish-Modell: ’Universitäten und Forschende, die nicht genügend Geld haben, können in den angesehenen Magazinen nicht publizieren’, sagt Keller. Das ist besonders für Forschende im Globalen Süden eine grosse Hürde, denn damit bestimmen die Verlage mit ihren Publikationsgebühren darüber, wer bei ihnen publizieren kann und wer nicht. ’Heute fehlt es noch an geeigneten Instrumenten, um solche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu unterstützen.’ Dies wäre ein weiterer wichtiger Beitrag zur Erreichung der Sustainable Development Goals.
Von den Zeitschriftenartikeln, die in den letzten fünf Jahren (2020-2024) in der Schweiz veröffentlicht wurden, waren 69 Prozent Open Access. Das ist laut Alice Keller einer der weltweit höchsten Werte. 2022 wurden an der Universität Basel 72 Prozent der Zeitschriftenartikel Open Access publiziert. Nationales Ziel sind 100 Prozent - ein Ziel, das auch durch den Schweizerischen Nationalfonds unterstützt wird.