Wissenschaftler der EPFL eröffnen neue Perspektiven im Bereich der Quantenphysik. Sie enthüllen ein mysteriöses und einzigartiges Verhalten eines quantenmagnetischen Materials und lassen zukünftige technologische Fortschritte erahnen.
In der geheimnisvollen Welt der Quantenmaterialien kann man das Verhalten nicht immer vorhersagen. Diese Materialien weisen einzigartige Eigenschaften auf, die durch die Regeln der Quantenmechanik geregelt werden. Das bedeutet meist, dass sie Aufgaben erfüllen können, die herkömmliche Materialien nicht leisten können, wie z. B. verlustfreie Stromleitung oder potenziell nützliche magnetische Eigenschaften in Spitzentechnologien.
Magnonen in Quantenmaterialien
Einige Quantenmaterialien werden von winzigen magnetischen Wellen, den sogenannten Magnonen, durchdrungen, die sich auf faszinierende Weise verhalten. Das Verständnis von Magnonen hilft uns, die Geheimnisse der Funktionsweise von Magneten auf mikroskopischer Ebene zu entschlüsseln, was für die nächste Generation von elektronischen Geräten und Computern unerlässlich ist.
Wissenschaftler haben das Verhalten dieser Magnonen unter starken Magnetfeldern untersucht und dachten, sie wüssten, was sie zu erwarten hätten - bis heute. In einer aktuellen Studie haben Forscherinnen und Forscher unter der Leitung von Henrik Rønnow und Frédéric Mila von der EPFL enthüllt.ein neues, unerwartetes Verhalten des Quantenmaterials Strontium-Kupfer-Borat, SrCu2(BO3)2. Diese Studie stellt unser derzeitiges Verständnis der Quantenphysik in Frage, lässt aber auch interessante Möglichkeiten für zukünftige Technologien erkennen.
Das einzige bekannte Beispiel
Aber warum dieses Material? Die Details sind ziemlich technisch. SrCu2(BO3)2 ist im Bereich der Quantenmaterialien wichtig, weil es das einzige bekannte reale Beispiel für das "Shastry-Sutherland-Modell" ist, einen theoretischen Rahmen zum Verständnis von Strukturen, bei denen die Anordnung und die Wechselwirkungen der Atome verhindern, dass sie sich in einen einfachen, geordneten Zustand begeben.
Diese Strukturen werden als "hochfrustrierte Gitter" bezeichnet und verleihen dem Quantenmaterial oft komplexe und ungewöhnliche Verhaltensweisen und Eigenschaften. So macht die einzigartige Struktur von SrCu2(BO3)2 es zu einem idealen Kandidaten für die Untersuchung von komplexen Quantenphänomenen und Übergängen.
Neutronenstreuung und massive Magnetfelder
Um die Magnonen in SrCu2(BO3)2 zu untersuchen, verwendeten die Wissenschaftler eine Technik, die Neutronenstreuung genannt wird. Kurz gesagt: Sie schickten Neutronen auf das Material und maßen ihre Ablenkung daran. Neutronenstreuung ist besonders effektiv bei der Untersuchung magnetischer Materialien, da Neutronen mit einer Ladung von null den Magnetismus entschlüsseln können, ohne durch die Ladung der Elektronen und Kerne im Material gestört zu werden.
Diese Arbeiten wurden an der Hochfeld-Neutronenstreuanlage des Helmholtz-Zentrums Berlin , die Felder von bis zu 25,9 Tesla erforschen konnte, durchgeführt. Dieses Niveau der Untersuchung von Magnetfeldern ist beispiellos und ermöglichte es den Wissenschaftlern, das Verhalten von Magnonen direkt zu beobachten.
Anschließend kombinierten sie die Daten mit "Zylindermatrix-Produkt-Zustandsberechnungen". Diese leistungsfähige Berechnungsmethode bestätigte die experimentellen Beobachtungen der Neutronenstreuung und ermöglichte es, das zweidimensionale Quantenverhalten des Materials zu verstehen.
Ein Tanz zu zweit
>Dieser einzigartige Ansatz offenbarte etwas Überraschendes: Anstatt sich wie erwartet als einzelne, unabhängige Elemente zu verhalten, verbanden sich die Magnonen des Materials und bildeten "gebundene Zustände", so als ob man zu zweit tanzt, anstatt alleine zu gehen.
Diese ungewöhnliche Kombination führt zu einem neuen, unerwarteten Quantenzustand, der Auswirkungen auf die Materialeigenschaften hat: die "spin-nematische Phase". Nehmen wir die Magnete an einem Kühlschrank: Normalerweise zeigen sie nach oben oder unten (Rotation), aber bei dieser neuen Phase geht es nicht um die Richtung, in die sie zeigen, sondern darum, wie sie sich aneinander ausrichten und ein einzigartiges Muster erzeugen.
Dies ist eine aufregende Entdeckung. Sie zeigt ein Verhalten von magnetischen Materialien, das noch nie zuvor beobachtet wurde. Diese Enthüllung einer verborgenen Regel der Quantenphysik könnte zu neuen Wegen führen, magnetische Materialien für Quantentechnologien zu nutzen, die wir bisher noch nicht in Betracht gezogen haben.
Referenzen
Ellen Fogh, Mithilesh Nayak, Oleksandr Prokhnenko, Maciej Bartkowiak, Koji Munakata, Jian-Rui Soh, Alexandra A. Turrini, Mohamed E. Zayed, Ekaterina Pomjakushina, Hiroshi Kageyama, Hiroyuki Nojiri, Kazuhisa Kakurai, Bruce Normand, Frédéric Mila, Henrik M. Rønnow. Field-induced bound-state condensation and spin-nematic phase in SrCu2(BO3)2 revealed by neutron scattering up to 25.9 T. Nature Communications 10 January 2024. DOI: 10.1038/s41467’023 -44115-z