Auf dem Tisch liegt ein Buch von über 900 Seiten. Eben sind Elsbeth Dangel-Pelloquin und Alexander Honold von Lesungen in Deutschland und Österreich zurückgekehrt. Ihre Biografie über Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) habe aus Fachkreisen und Publikum bisher fast ausnahmslos ein positives Echo erhalten, erzählen sie. Der Band zu Leben und Werk des Österreichischen Schriftstellers dürfte künftig zu einem Standardwerk werden.
Hofmannsthal, der schon als 17-Jähriger in literarischen Cafés auffiel, gilt mit seinen Gedichten und Dramen als Vertreter des Symbolismus und der Wiener Moderne. Später, nach der Lyrik der frühen Jahre, experimentierte er mit neuen Formen des Musiktheaters.
Zu seinen bekannten Werken gehören Operntexte wie ’Elektra’, ’Der Rosenkavalier’ und ’Ariadne auf Naxos’, die er mit dem Komponisten und Freund Richard Strauss erarbeitete. Hofmannsthal war Mitbegründer der Salzburger Festspiele, an denen sein ’Jedermann’ bis heute jährlich aufgeführt wird. In Erinnerung bleibt auch seine Sprachkritik, wenn zum Beispiel einem Briefschreiber ’die Worte im Munde wie modrige Pilze’ zerfallen.
Grosse Teile des Werks sind in der öffentlichkeit noch immer weitgehend unbekannt. Die literarischen Arbeiten des Österreichers, der auch Essays schrieb und umfangreiche Briefwechsel unterhielt, umfassen rund 1300 Texte, Skizzen und Werkpläne. Im Ganzen füllen die Werke der Kritischen Gesamtausgabe 28’500 Druckseiten, verteilt auf 40 schwergewichtige Bände. Der letzte davon ist erst vor zwei Jahren erschienen - und zwar im selben S. Fischer Verlag, in dem auch Hofmannsthal zu Lebzeiten publiziert hatte.
Warum liegt die erste grosse Biografie erst jetzt vor, fast ein Jahrhundert nach dem Tod des Schriftstellers? Das Material sei eigentlich seit Längerem vorhanden, sagt Dangel. Vielleicht habe sein riesiger Umfang viele von einer umfassenden Darstellung abgehalten, mutmasst sie.
Dass die grosse biografische Studie nun von Forschenden der Universität Basel kommt, hat seine Gründe: Hier, am Fachbereich Deutsche Philologie, entstanden in der Nachfolge der Hofmannsthal-Experten Martin Stern und Karl Pestalozzi wichtige Arbeiten über den Schriftsteller und seine Zeit.
Lebenswelten und Lektüren
Dem modernen Klassiker Hofmannsthal haben sich Dangel und Honold während ihrer über dreijähriger Arbeit in doppelter Weise genähert: Während sie die Lebenswelten und die literarische Entwicklung Hofmannsthals nachzeichnete, widmete er sich unter dem Titel ’Lektüren’ ausgewählten Werken. Die Biografie könne die Vielseitigkeit des Schriftstellers in ihrer ganzen Fülle sichtbar machen, sagen die beiden. Immer wieder habe er neue Projekte begonnen, was dazu führte, dass sich im Nachlass sehr viele Textfragmente finden.Deutlich wird mit der Biografie nun auch die betont kooperative Arbeitsweise Hofmannsthals: Als einer der Ersten, so Honold, habe er ’produktive Netzwerke’ mit anderen Künstlern und Künstlerinnen unterhalten und Freundschaften gepflegt. Dangel nennt Hofmannsthal denn auch einen ’Dichter der Resonanz’. Ausgestattet mit einer grossen Sprachsensibilität, habe er auch depressive Phasen und Schreibblockaden durchlebt.
Hofmannsthal war in seiner Haltung nicht nur ein Traditionalist, der dem Untergang des Habsburgerreichs nachtrauerte und mit den neuen Verhältnissen nicht zurechtkam, wie laut Honold lange angenommen wurde: ’Diesem Bild widerspricht unsere Biografie deutlich.’ Nach dem Ersten Weltkrieg habe sich der Schriftsteller an die Veränderungen durchaus angepasst und vielfach auch künstlerisches Neuland betreten.
Der Titel der Biografie, ’Grenzenlose Verwandlung’, soll all dies umfassen, so das Autorenduo: die politischen Umbrüche jener Zeit, das Fragmentarische des Gesamtwerks und das ständige Überschreiten der Gattungsgrenzen bis zu bildender Kunst und Tanz. Anklingen soll im Titel aber auch die Persönlichkeit des Schriftstellers, der sich immer wieder neu entworfen habe. ’Nur im Wechsel ertragen wir unser Leben’, schrieb Hofmannsthal einmal - in einer seiner Komödien.