Ein Team der Universität Genf zeigt, dass das menschliche Gehirn in der Lage ist, die Vokalisationen einiger Affen zu identifizieren, sofern deren Verwandtschaft und die verwendeten Frequenzen den unsrigen nahe kommen.
Sind wir in der Lage, zwischen den Stimmäußerungen bestimmter Primaten zu unterscheiden? Ein Team der Universität Genf hat Freiwillige gebeten, die Vokalisationen von drei Arten von Menschenaffen (Hominidae) und von Menschen zu kategorisieren. Bei jedem Kontakt mit diesen Lautmalereien wurde die Aktivität der beteiligten Hirnareale gemessen. Im Gegensatz zu früheren Studien enthüllen die Wissenschaftler, dass die phylogenetische Nähe - oder Verwandtschaft - nicht der einzige Faktor ist, der unsere Fähigkeit, diese Laute zu identifizieren, beeinflusst. Auch die akustische Nähe - die Art der ausgestrahlten Frequenzen - ist entscheidend. Die Ergebnisse zeigen, wie sich das menschliche Gehirn im Laufe der Evolution verändert hat, um die Rufe einiger unserer nächsten Verwandten besser zu verarbeiten. Sie sind in der Fachzeitschrift Cerebral Cortex Communications zu finden .Unsere Fähigkeit, verbale Sprache zu verarbeiten, beruht nicht nur auf der Semantik, also der Bedeutung und Kombination der sprachlichen Einheiten. Es spielen auch andere Parameter eine Rolle, wie die Prosodie, die Pausen, Betonungen und Intonationen umfasst. Affektive Vokalisationen oder affective bursts (z. B. "Aaaah!" oder "Oh!") gehören ebenfalls dazu, und wir teilen sie mit unseren Primatenvettern. Sie tragen zur Bedeutung und zum Verständnis unserer stimmlichen Kommunikation bei.
Wenn eine solche Sprachnachricht ausgesprochen wird, werden diese Töne unter anderem von den frontalen und orbitofrontalen Regionen unseres Gehirns verarbeitet. Die Funktion dieser beiden Bereiche besteht unter anderem darin, sensorische und kontextuelle Informationen zu integrieren, die zu einer Entscheidung führen. Werden sie auf die gleiche Weise aktiviert, wenn wir den emotionalen Vokalisationen unserer nahen Verwandten, der Schimpansen, Makaken und Bonobos, ausgesetzt sind? Und sind wir in der Lage, sie zu unterscheiden?
MRT-Untersuchungen mit Kopfhörern auf dem Kopf
Ein Team der Universität Genf wollte dies herausfinden, indem es eine Gruppe von 25 Freiwilligen verschiedenen menschlichen und affenartigen Vokalisationen aussetzte. Die Teilnehmer wurden in einen MRI-Scanner gesetzt und mit Kopfhörern ausgestattet. Leonardo Ceravolo, Lehrbeauftragter an der Fakultät für Psychologie und Erziehungswissenschaften der Universität Genf und Erstautor der Studie, erklärt: ’Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase mit den verschiedenen Arten von Vokalisationen sollte jeder die Vokalisationen kategorisieren, d.h. identifizieren, zu welcher Spezies sie gehören’.
Diese Onomatopoetika waren affiliativ, d. h. mit einer positiven Interaktion verbunden, oder agonistisch, d. h. mit einer Bedrohung oder Notlage verbunden. Die menschlichen Vokalisierungen stammten aus Datenbanken, die von Schauspielern aufgenommen wurden. Die Affenvokalisationen stammten aus Feldaufnahmen, die im Rahmen früherer Forschungsarbeiten gemacht worden waren. Diese Studie ist die erste ihrer Art, die Bonobo-Vokalisierungen einbezieht.
Bonobos, nicht ganz so nahe Verwand te
Die Ergebnisse zeigen, dass bei Makaken- und Schimpansenvokalisationen die frontalen und orbitofrontalen Regionen der Teilnehmer auf ähnliche Weise aktiviert wurden wie bei menschlichen Vokalisationen. Die Teilnehmer konnten sie leicht unterscheiden. Bei den "Schreien" von Bonobos, die ebenfalls nahe Verwandte des Menschen sind, wurden die entsprechenden Hirnregionen jedoch weniger aktiviert und die Kategorisierung erfolgte zufällig.
Man dachte, dass die Verwandtschaft zwischen den Arten - die ’’phylogenetische Distanz’’ - der wichtigste Parameter für die Fähigkeit ist, diese verschiedenen Vokalisationen zu erkennen oder nicht. Je näher man sich genetisch steht, desto wichtiger ist diese Fähigkeit, dachte man’, erklärt Didier Grandjean, Professor am Interfakultären Zentrum für Affektive Wissenschaften und an der Fakultät für Psychologie und Erziehungswissenschaften der Universität Genf, der die Studie leitete. Unsere Ergebnisse zeigen, dass ein zweiter Parameter eine Rolle spielt: die akustische Distanz. Je weiter die Dynamik der akustischen Parameter, wie z. B. die verwendeten Frequenzen, von der des Menschen entfernt ist, desto weniger werden bestimmte frontale Regionen aktiviert. Wir verlieren dann die Fähigkeit, diese Geräusche zu erkennen, selbst wenn sie von einem nahen Cousin, in diesem Fall dem Bonobo, stammen.
Die Rufe der Bonobos sind sehr schrill und können denen einiger Vögel ähneln. Diese akustische Distanz in Bezug auf die Frequenzen im Vergleich zu menschlichen Vokalisationen erklärt unsere Unfähigkeit, sie zu entschlüsseln, obwohl wir uns phylogenetisch sehr nahe stehen. Sind wir in der Lage, die verschiedenen emotionalen Aspekte der affiliativen oder agonistischen Vokalisationen eines Schimpansen, Makaken oder Bonobos zu identifizieren? Und wenn ja, wie? Diese Frage wird im Mittelpunkt unserer nächsten Forschungsarbeit stehen, in der wir nicht unsere Fähigkeit analysieren werden, die Vokalisationen nach Arten zu kategorisieren, sondern ihren emotionalen Gehalt zu identifizieren", schließt Didier Grandjean.
19 Dez. 2023