
Die Nutzerinnen und Nutzer traditioneller physischer Öffentlicher Dienstleistungen wenden sich nun digitalen Plattformen zu. In vielen Fällen fungieren diese als Vermittler zwischen den Dienstleistern und den Endnutzerinnen und -nutzern und verändern so die klassische Natur Öffentlicher Angebote, die auf einer physischen Dienstleistung basieren. Obwohl die Plattformisierung bestimmter Dienstleistungen diese effizienter machen kann, kann sich der Verlust des direkten Kontakts mit den Nutzerinnen und Nutzern und ihren Daten auf die Qualität der physischen Dienstleistung auswirken. Eine übermäßige Digitalisierung kann auch erhebliche Governance-Probleme für die Öffentliche Politik mit sich bringen, da die Betreiber privater Plattformen möglicherweise kommerzielle Interessen über das Gemeinwohl stellen.
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, wurde kürzlich von Melanie Kolbe-Guyot, Leiterin für Digitalpolitik am Center for Digital Trust (C4DT) der EPFL, und Matthias Finger, Honorarprofessor an der EPFL, ein Rahmendokument mit einer eingehenden Analyse und einer Liste von Empfehlungen zur Gewährleistung der Qualität des Öffentlichen Dienstes veröffentlicht. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in Bereichen wie der Steuerung großer soziotechnischer Systeme und der Infrastrukturpolitik.
Laut Matthias Finger gehören traditionell staatlich regulierte Sektoren wie Verkehr, Kommunikation, Energie, Bildung und Öffentliche Medien zu den Sektoren, die am stärksten von der Plattformisierung betroffen sind. "Plattformen dringen leichter in fragmentierte Sektoren ein", erklärt er.
Schutz von Daten
Eine der größten Herausforderungen betrifft die von diesen Plattformen gesammelten Daten. Denn wenn die Betreiber privater Plattformen alle Daten erhalten, ist es ihnen de facto möglich, den Dienst selbst zu definieren. "Hinzu kommt, dass wir nicht wissen, was die Plattformbetreiber mit diesen Daten machen. Sie können sogar außerhalb der schweizerischen und europäischen Rechtsprechung verwendet werden", sagt Matthias Finger.Außerdem kann der Einzug von Plattformen in den Öffentlichen Dienst zu höheren Kosten oder einer schlechteren Qualität der Dienstleistungen führen. "Wenn die Infrastruktur gut ist, liegt das daran, dass der Staat viel Geld in sie investiert hat. Wenn ein Privatunternehmen als Vermittler im Infrastrukturdienst auftritt, nimmt es eine Gewinnspanne ein. Um also nach der Einführung der Plattform das gleiche Qualitätsniveau aufrechtzuerhalten, muss der Staat mehr bezahlen oder Abstriche bei der Qualität in Kauf nehmen", so Matthias Finger.
Laut der Veröffentlichung müssen die Schweizer Behörden genaue Strategien festlegen, um die negativen Auswirkungen, die digitale Plattformen haben könnten, abzuschwächen, damit die hohen Qualitätsstandards des Öffentlichen Dienstes aufrechterhalten werden können. Zu den Bereichen, die davon betroffen sein könnten, gehören Fairness, Zugänglichkeit, Erschwinglichkeit, Anpassungsfähigkeit, Nachhaltigkeit und das kontinuierliche Funktionieren der traditionellen Bereitstellung physischer Dienstleistungen. Die Frage, wie diese Maßnahmen umgesetzt werden sollen und wie die Schweizer Regierung mit diesen Herausforderungen umgehen soll, bleibt jedoch offen. Aufgrund der Dezentralisierung der Macht in der Schweiz ist eine starke Beteiligung der kantonalen und eidgenössischen Verwaltungen erforderlich, um eine gemeinsame Strategie zur Gewährleistung der Aufrechterhaltung eines qualitativ hochwertigen Öffentlichen Dienstes festzulegen.
Die Studienleiter betonen, wie wichtig es ist, eine einzige Organisationseinheit auf Bundesebene zu schaffen, die für die Digitalisierungspolitik und -vorschriften zuständig ist und den Öffentlichen Dienst voll einbezieht. Dies ist von entscheidender Bedeutung, um mit der rasanten Entwicklung in anderen europäischen und außereuropäischen Ländern Schritt zu halten. "Ich schlage einen sehr pragmatischen Ansatz vor. Wenn wir die Qualität des Öffentlichen Dienstes erhalten wollen, müssen wir gegenüber den Betreibern von Serviceplattformen bestimmte Maßnahmen ergreifen", schließt Matthias Finger. Dazu gehört zum Beispiel die Festlegung eines Rechtsrahmens für die Weitergabe von Nutzungsdaten durch diese Betreiber. Dies ist rechtlich nicht unmöglich, erfordert aber einen gewissen politischen Willen".
Liste der Empfehlungen, die im Rahmendokument veröffentlicht wurden:
- Private Plattformbetreiber sollten verpflichtet werden, die Nutzungsdaten mit den Öffentlichen Dienstleistern zu teilen;
- Aushandlung einer fairen Gewinnbeteiligung zwischen den Unternehmen und der Verwaltung, um zur Finanzierung der Infrastruktur beizutragen, die den Dienst ermöglicht;
- Gewährleistung der Zugänglichkeit und des kontinuierlichen Betriebs Öffentlicher Dienstleistungen, sowohl physisch als auch digital;
- Preistransparenz und eine faire Preisgestaltung durchsetzen;
- die Gleichbehandlung der Bürgerinnen und Bürger durch einen angemessenen Regulierungsrahmen gewährleisten;
- private Plattformen, die "von der Regierung gefördert" werden, oder Alternativen in staatlichem Besitz erkunden;
- Datenräume in strategischen Schlüsselsektoren untersuchen.
Matthias Finger, Melanie Kolbe-Guyot, "Safeguarding the Swiss service public in the digital platform age", C4DT Policy Brief, 2024.
Matthias Finger, Melanie Kolbe-Guyot, "Digital Service public - What does the future hold for the public service in the digital platform era?", C4DT Insight No. 1 publication paper, 2024.
Matthias Finger, J. Montero, "Digitalizing infrastructure, digital platforms and public services" Competition and Regulation in Network Industries, 24(1), 40-53, 2023.